Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
Parlament den 17. Juni zum «Tag der deutschen Einheit» und während der 1950er und frühen 1960er Jahre wurden an diesem Nationalfeiertag unzählige Aktionen veranstaltet, getragen von Parteien, Verbänden und Kirchen, vor allem aber von dem überparteilichen «Kuratorium Unteilbares Deutschland». Sie sollten die Einheit der Nation im Bewusstsein der Deutschen aufrechterhalten und der Welt vom Unrecht in Ostdeutschland künden. So verkauften zahlreiche Helfer beispielsweise auf der Straße Anstecknadeln und Plaketten; Ende 1961 besaßen 21 Millionen Westdeutsche die Plakette «Macht das Tor auf», die das nach dem Mauerbau geschlossene Brandenburger Tor abbildete. Tausende von Mahnmalen und Gedenksteinen wurden in größeren und kleineren Städten aufgestellt, Straßen und Brücken wurden umbenannt, besonders oft in «Berliner Freiheit», Fackelzüge, «vaterländische Wanderungen» und Stafettenläufe von Helgoland bis zur Zugspitze, von Saarbrücken bis nach Braunschweig fanden statt. Überall in der Bundesrepublik brannten Mahn-, Freiheits- und Treuefeuer, um die ostdeutschen «Brüder und Schwestern» nicht zu vergessen. In West-Berlin leuchteten von Türmen, vielen Hochhäusern und sämtlichen natürlichen Erhebungen am Vorabend des 17. Juni Feuer. Der Grunewaldturm und die Siegessäule standen in rotes Licht getaucht.
Mit der Aktion «Trotzt Mauer und Stacheldraht» forderte das Kuratorium die Bundesbürger im Dezember 1961 auf, an Heiligabend um 19 Uhr Kerzen an die Fenster und eine Kerze auf den Weihnachtstisch zu stellen – als Zeichen der Verbundenheit mit den Landsleuten im Osten. Bereits seit Mitte der 1950er Jahre hatte es in Ortschaften an der deutsch-deutschen Grenze dieses Kerzenritual gegeben. Gerade in Berlin wollten die Menschen durch die Kerzen am Fenster mit ihren Freunden, Bekannten und Verwandten im Osten Kontakt aufnehmen. Das SED-Regime unterband dies allerdings umgehend: Durch ein neues, eng gestaffeltes Sicherheitssystem an der Mauer und durch zahlreiche Sichtblenden war von Ost-Berliner Seite aus fast nirgends mehr ein Blick nach Westen möglich.
Das Aufstellen von Kerzen war während der Berliner Blockade 1948 zum ersten Mal vorgekommen. Als Ausdruck kollektiver Trauer hatten dann die Berliner nach der Nachricht des überraschenden Todes ihres beliebten Oberbürgermeisters Ernst Reuter, der in dieser Krisensituation eine Schlüsselrolle gespielt hatte, Ende September 1953 spontan Millionen Kerzen an die Fenster gestellt. Darüber hinaus symbolisierten die im Fenster stehenden Kerzen das Warten auf die Heimkehr der Kriegsgefangenen. Dieser nationale «Kerzenkult» verknüpfte also die Toten und Inhaftierten des 17. Juni 1953 mit den Toten und Gefangenen des Zweiten Weltkrieges. Das Licht der Kerzen und der Schein der Feuer spendeten Hoffnung und demonstrierten Verbundenheit, symbolisierten aber auch Erlösung.
35. Warum ließ Ulbricht die Mauer bauen und wie sah sie aus? Man muss sich die Situation Berlins einmal plastisch vorstellen um zu ermessen, welche Pein sie bei der SED tagtäglich auslöste; «westlicher Stachel im Fleisch der DDR» sagt sich ja so leicht. Es wäre so gewesen, als hätte der noble Vorort von Bonn, Bad Godesberg, zum Ostblock gehört. Dort hätten bis auf die Zähne bewaffnete Sowjets gesessen und die meisten Westdeutschen hätten nur danach getrachtet, so schnell wie möglich ins kommunistische Paradies überzutreten. Im Oktober 1958 sprach Walter Ulbricht davon, dass die DDR die Hoheitsgewalt für ganz Berlin beanspruche, einen Monat später, am 27. November 1958, ergingen sowjetische Noten an die drei Westmächte, die als «Berlin-Ultimatum» Berühmtheit erlangten und den Ost-West-Konflikt in den folgenden Jahren bis an die Schwelle des Krieges führten. Innerhalb von sechs Monaten, so die Forderung Nikita Chruschtschows, müssten die Westmächte der Umwandlung West-Berlins in eine entmilitarisierte «Freie Stadt» zustimmen, also ihre Truppen abziehen. West-Berlin ohne den Schutz der Amerikaner, Briten und Franzosen? Man benötigte nicht den Hauch von Fantasie, um sich auszumalen, was dies bedeutet hätte. Berlin wäre eine «vogelfreie» Stadt gewesen. Allerdings war die Vermutung des Ostens, man könne mit einem solchen Erpressungsversuch erfolgreich sein, nicht nur ein Hirngespinst, denn tatsächlich waren es vor allem die Briten leid, sich ständig mit dem Berlinproblem herumplagen zu müssen. Ulbricht drängte, doch zu seiner Enttäuschung
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