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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
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Weisheit und löst eben deswegen diese Weisheit schließlich auf. Es stellt sich die Frage, wie sich Weisheit unter veränderten sozialen Bedingungen aufrechterhalten lässt und ob die Weisheit oder gar als Narrheit verkleidete Weisheit dazu dienen kann, den eigenen Stand als Pfeiler der sozialen Ordnung erhalten zu können. Am Ende des Textes steht dann die Moral der Geschichte, die ich so umformulieren möchte: Weisheit wird nur dann Weisheit bleiben, wenn sie nicht dazu dient, soziale Ordnungen zu verändern.

Barock

22. Wie begründet der Barock die neuere deutsche Literatur? Die Antwort auf diese Frage ist einfach und verblüffend: durch ein schmales Bändchen eines Höflings und Diplomaten, der selber Dichter war, nämlich durch Martin Opitz’ (1597–1639)
Buch von der deutschen Poeterey
, das er 1624 geschrieben und veröffentlicht hat. Hört man auf die Literaturwissenschaftler, so überschlagen sie sich, um das Neue und geradezu Revolutionäre hervorzuheben, das dieses Büchlein in die deutsche Literatur eingebracht hat. Der Barockforscher Dirk Niefanger nennt dieses Buch sogar ein «Gründungsdokument der neueren deutschen Literatur» und Rüdiger Campe spricht keinesfalls weniger zurückhaltend und in derselben Stoßrichtung von nichts weniger als einer, wenn nicht
der
«Neugründung der Literatur in deutscher Sprache». Erich Trunz formuliert ganz lapidar und apodiktisch: «Die deutsche [Literatur] beginnt mit ihm [= Opitz]», und Herbert Jaumann nennt das Buch ein «kulturpolitisches Manifest» und ein «Manifest des Aufbruchs».
    So erhebt sich die Frage, ab wann denn die Literatur tatsächlich neu und neuer wird. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war die allgemein anerkannte Gelehrtensprache das Lateinische, das zum Beispiel deutlich stärker genormt war als das Deutsche zu jener Zeit. Zudem war es eine internationale Sprache, eine
lingua franca
, der sich jeder Gelehrte in Europa bedienen konnte und bedienen musste. Etwas anders stellt sich die Ausgangslage in der Sphäre der Literatur dar. Aber auch hier geht es darum, eine deutschsprachige Literatur zu etablieren, die hohen ästhetischen Ansprüchen und Normen genügt. Genau dafür die theoretische Gewährleistung erbracht zu haben ist das Verdienst von Martin Opitz. Es geht dabei um nicht weniger als um eine Nationalisierung der Literatur, um eine «Kunstdichtung in deutscher Sprache» (Herbert Jaumann). Dafür hatte sich Opitz schon zuvor, 1617, in seinem Werk
Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae
(Aristarchus oder über die Verachtung der deutschen Sprache) ein gesetzt – bemerkenswerterweise noch in lateinischer Sprache. Vor diesem Hintergrund gewinnt das
Buch von der Deutschen Poeterey
seinen Charakter als kulturpolitisches Manifest eines Aufbruchs.
    Das Buch selbst stellt eine Mischform aus normativer Poetik undeiner Literaturtheorie
avant la lettre
dar. Es behandelt in acht Kapiteln die Entstehung, die Funktion, die Tradition und die derzeitige Situation der deutschen Literatur und Literaturproduktion (Poeterey), geht dann dazu über, die rhetorische Produktion, Verfasstheit und Fundierung der Literatur zu beschreiben, um schließlich auf die Versformen zu sprechen zu kommen.
    Vor diesem Hintergrund bekommt auch die Forderung nach einer Alternation von Hebung und Senkung, also betonter und unbetonter Silbe, in der gebundenen Sprache lyrischer Dichtung ein ganz besonderes Gewicht. Worum es Opitz mit diesem Vorschlag geht, ist zunächst nichts anderes, als die Forderung, dass die Dichtung bestimmte prosodische Eigenheiten der deutschen Sprache ernst nimmt. Er will, dass Wortakzent und Versakzent zusammenfallen. Indem die Prosodie des Deutschen ernst genommen, ja zur Grundlage einer dichterischen Norm gemacht wird, gewinnt auch das Deutsche als Literatursprache ein anderes Gewicht – die deutsche Literatur wird auf neue Grundlagen gestellt.
    23. Warum ist das Sonett für den Barock und darüber hinaus so wichtig? Im Jahr 1981 schreibt Robert Gernhardt, einer der faszinierendsten, witzigsten, intelligentesten und kreativsten Dichter der jüngsten deutschen Literatur, geboren 1937, viel zu früh 2006 verstorben, ein Gedicht, dem er einen fast schon literaturwissenschaftlich anmutenden Titel gibt:
Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs
. Mit der Gedichtform ist das Sonett gemeint; es beginnt mit dem Vers: «Sonette find ich so was von beschissen».
    Die Pointe dieses Gedichts liegt genau

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