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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
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Planwirtschaft» gesprochen.
    35. Wie entwirft man eine vernünftige Gesellschaft? Diese Frage wird bei
Robinson Crusoe
von Daniel Defoe (1660–1731) aus dem Jahre 1719 ebenso aufgeworfen wie in Thomas Morus’ (1478–1535) Schrift
Utopia
aus dem Jahre 1516. Ein zentrales Thema wird sie in dem vierteiligen Roman von Johann Gottfried Schnabel (1692–1752?), der heute unter dem Namen
Insel Felsenburg
bekannt ist.Der ursprüngliche Titel beginnt mit «Wunderliche Fata einiger See=Fahrer …» und ist – ganz in barocker Manier – mehr als eine halbe Seite lang. Der Ich-Erzähler erzählt, wie er dazu gekommen ist, auf die Insel Felsenburg irgendwo im südlichen Weltmeer zu kommen, wo ein alter Verwandter als sogenannter Alt-Vater ein ideales Gemeinwesen regiert. Der Roman entfaltet eine grundlegende Differenz zwischen einer schlechten politischen Wirklichkeit und einer guten politischen Utopie. Auf der Insel Felsenburg gibt es ein friedliches Zusammenleben auf der Basis einer aufklärerischen und aufgeklärten Moral, in den Herkunftsländern der Figuren herrschen hingegen Egoismus und Partialinteressen. Im ersten Teil (1731) wird dieses Gemeinwesen vorgestellt, in den weiteren drei Teilen (1732, 1736, 1743) kommen Erzählungen weiterer Schicksale hinzu.
    Aus dem
Robinson Crusoe
werden zwei Ideen übernommen: zum einen die Idee, dass man durch Schiffbruch auf eine unbekannte Insel verschlagen werden kann, zum anderen die Idee, dass man sich auf dieser Insel einzurichten habe. Die entscheidende Abwandlung erfährt diese Konzeption allerdings durch den Aspekt, dass man auf dieser Insel ein Gemeinwesen gründen kann, dieses in idealer Weise gestaltet und daher gar nicht mehr zurückwill, also eine neue Heimat gründet. Aus
Utopia
wird die Fragestellung übernommen, wie denn diese ideale Weise, ein Gemeinwesen zu gründen, zu führen und zu gestalten, aussehen könnte, aber auch die Idee, dass diese Pläne eben in der politischen Wirklichkeit dieser Zeit nur utopischen Charakter haben können. Durchaus modern ist dieser Roman, wo er die Staatstheorien des 17. Jahrhunderts hinter sich lässt und stattdessen die Frage nach einem idealen Gemeinwesen in den aufklärerischen Kontext der Literatur in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stellt. Es geht zentral um die Frage, wie sich eine aufklärerische und aufgeklärte Moral sozial – also im Modell eines Gemeinwesens – umsetzen, wie sich also eine individuelle Einstellung in einer gesellschaftlichen Struktur verwirklichen lässt.
    Beispielhaft ist auch das Werk von Christoph Martin Wieland (1733–1813), der ein eigentümliches Rezeptionsschicksal erleben musste. Er gehört zu den Aufklärern und Modernisierern der deutschen Literatur, doch schon eine Generation später, bei den Stürmern und Drängern, stößt er auf größte Ablehnung, weil sie ihn für überkommen und nicht authentisch halten. Selbst Studenten verbrennen seine Bücher, weil sie sie für moralisch bedenklich halten.Wieland hat ein beeindruckendes Werk hinterlassen, auch eine Reihe von Romanen, zum Beispiel die wunderbare
Geschichte der Abderiten
(1774–1780) – eine bitterböse Schelmengeschichte, die die Schiltbürgergeschichte nachahmt (die ins antike Griechenland verlegte Stadt Abdera ist eine Form von Schilda), aber dabei massiv die Formen rückständiger Aufklärung, schlichtweg soziale Dummheit verspottet. Sein in der Tradition von Cervantes’
Don Quichote
(1505/1515) stehender Roman
Don Silvio von Rosalva, oder Sieg der Natur über die Schwärmerey
aus dem Jahr 1764 erzählt, wie ein junger Mann lernen muss, sich aus seinen imaginativen Lektürewelten, in denen er schwärmerisch lebt, zu befreien, um überhaupt erst im realen Leben und in der Liebe sich bewähren und sich finden zu können. Sein Roman
Geschichte des Agathon
(in drei Fassungen erschienen: 1766/67, 1774, 1793) ist auch deswegen bemerkenswert, weil er, was als große Ausnahme zu werten ist, eben nicht auf andere Vorbilder setzt und sich in bestimmte Traditionen einreiht, sondern – ganz im Gegenteil – selbst eine Tradition begründet: die des deutschen Bildungsromans. Auch dieser Roman setzt, wie schon der
Don Silvio
, mit diesem Problem der Schwärmerei ein. Schwärmerei ist eine fehlgeleitete Gefühlsfunktion. Das Gefühl ist so dominant geworden, dass es dem Schwärmer nicht mehr gelingt, zwischen Gefühlswelt und Realität zu unterscheiden und sich in der Realität zurechtzufinden, zumal dann, wenn diese Gefühle

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