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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
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Natur! Nichts so Natur als Shakespeares Menschen.»
    46. Wie kam der Sturm und Drang zu seinem Namen? Kann man sich eine Literaturepoche vorstellen, die Wirrwarr heißt? Schwerlich.
Der Wirrwarr
war der Name, den Friedrich Maximilian Klinger einem Drama gegeben hatte, das er im September 1776 geschrieben und das ein Jahr darauf zurückdatiert auf 1776 erschienen ist. Dass es aber nicht bei diesem Namen blieb, haben wir Christoph Kaufmann (1753–1795) zu verdanken. Kaufmann gehörte mit zu dem Intellektuellenkreis der jungen Sturm-und-Drang-Autoren um Goethe, Lenz, Herder und Klinger in Straßburg. Kaufmann entwickelte reformpädagogische Bestrebungen, die sich aber nicht verwirklichen ließen. Mit ihm war Klinger in Kontakt, als er sein Drama schrieb, und Kaufmann gab Klinger den Hinweis, sein Drama nicht
Wirrwarr
, sondern
Sturm und Drang
zu nennen. Dieses Drama konnte so der Epoche ihren Namen geben, doch dies geschah nicht im zeitgenössischen Kontext. Die Stürmer und Dränger haben sich nicht als solche angesprochen, sicherlich haben sie sich als solche gesehen, aber dieser Name war nicht Programm, anders als die Begriffe Genie oder Original. Die Stürmer und Dränger haben sich – wie man es bei dem späteren Goethe in einer nachträglichen Selbstcharakterisierung nachlesen kann (in seiner Autobiographie
Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit
, an der er von 1809 bis zu seinem Tode 1832 gearbeitet hat) – als literarische Revolution verstanden. Erst im 19. Jahrhundert, zuerst bei Ludwig Tieck (1773–1853) und dann in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in frühen Ansätzen einer germanistischen Literaturgeschichtsschreibung, hat man auf den Titel dieses Dramaszurückgegriffen, um eine ganze Epoche und vor allem diese damit verbundene Jugendbewegung zu bezeichnen.
    Das ist auch der Grund, warum man dieses Drama nicht als Musterfall eines Sturm-und-Drang-Dramas lesen kann. Im Gegenteil, man findet zwar eine Reihe von Ansätzen, Typen, Themen und Strukturen, die ein solches Drama ausmachen, doch in seiner Gesamtheit ist das Drama noch viel zu zurückhaltend, als dass darin der dramatische Impetus der Stürmer und Dränger in Reinform zum Ausdruck käme, wie dies um vieles deutlicher in Goethes Drama
Götz von Berlichingen
geschieht. In Klingers Drama geht es um eine Variante des Romeo-und-Julia-Stoffes und damit wird immerhin indirekt die Bedeutung Shakespeares aufgerufen. Das einzige Sturm-und-Drang-Element ist der ungebändigte Charakter einiger männlicher Figuren. So sagt die Hauptfigur Karl alias Wild als allerersten Satz des Dramas: «Heyda! nun einmal in Tumult und Lermen, daß die Sinnen herumfahren wie Dach-Fahnen beym Sturm. Das wilde Geräusch hat mir schon so viel Wohlseyn entgegen gebrüllt, daß mir‘s würklich ein wenig anfängt besser zu werden. So viel Hundert Meilen gereiset um dich in vergessenden Lermen zu bringen – Tolles Herz! du sollst mirs danken! Ha! tobe und spanne dich dann aus, labe dich im Wirrwar!» So kann man das Drama mit dem einschlägigen Titel vielleicht als einen ersten ironischen Kommentar zu dieser Epoche lesen.
    47. Warum ist im Sturm und Drang die Kindersterblichkeit so hoch? Im 18. Jahrhundert ist die Kindersterblichkeit ziemlich hoch. Das liegt nicht nur an den mangelhaften hygienischen und medizinischen Verhältnissen, das liegt auch daran, dass viele Kinder umgebracht werden. In den meisten Fällen sind junge, ledige Mütter zugleich die Mörderinnen ihrer Kinder. Ein uneheliches Kind ist in der Tat für die Mutter oftmals eine Katastrophe. Sie wird moralisch gebrandmarkt und sozial ausgeschlossen. Häufig kommt sie in eine ausweglose Situation. Sie kann das Kind weggeben, sich umbringen, beide umbringen oder das Kind umbringen. Der Kindsmord war in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zum gesellschaftlichen Problem geworden, und die verschiedensten Diskurse nehmen sich des Themas an: die Jurisprudenz, die Kriminalistik, die kirchlichen und die aufgeklärten Moral- und Soziallehren, die Philosophie und nicht zuletzt die Literatur. Denn dieses Thema ist kein unangenehmesRandthema, sondern führt – und dessen sind sich die Zeitgenossen bewusst – mitten hinein in ein Kernproblem der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft, nämlich zur Frage, wie denn eine Gesellschaft ihre eigene Reproduktion regeln kann und welche Rolle und Funktion und vor allem welchen Ort Sexualität in der Gesellschaft hat.
    Das prominenteste Beispiel eines Autors, der sich mit

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