Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur
Schiller heimlich geschrieben. Es wurde zuerst 1781 anonym veröffentlicht, 1782 kam es in Mannheim am Nationaltheater zur Uraufführung. Zu dieser Zeit war der Sturm und Drang bereits Geschichte. Vielleicht sind deswegen in den
Räubern
schon Ideen enthalten, die weit vorausweisen auf die deutsche Klassik.
Zwar betritt mit Karl Moor noch einmal ein rechter Kerl des Sturm und Drang die Bühne, der derb sein darf, aber zunächst das Herz am rechten Fleck hat und über seine Zeit schimpft: «Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum.» Zu Hause aber lebt Franz, der jüngere Bruder, der den Vater überredet, ihn selbst als Erstgeborenen zu behandeln und Karl zu enterben. Karl wiederum ist vom Verhalten des Vaters, dessen Gründe er nicht kennt, so enttäuscht,dass er seiner Räuberbande ewige Treue schwört, was der Beginn einer Eskalation von Gewalt ist, die sich nicht mehr rechtfertigen lässt.
Später wird Schiller sich um die Frage nach der objektiven Bestimmung der Schönheit kümmern. Die eigentliche moralische Qualität ist für Schiller nicht an einem moralischen Maßstab zu messen, sondern an einem ästhetischen, der den moralischen mit aufnimmt. Das wird einer der Grundgedanken seiner späteren philosophischen und ästhetischen Schriften sein, die er ab 1793 verfasst. Das Schöne, wird Schiller überlegen, muss einem Gesetz gehorchen, an dem sich Schönheit misst. Es kann nicht völlig autonom sein, denn dann wüsste man noch nicht einmal, dass man von Schönheit reden könnte. Wenn es aber darin aufgeht, nur dem Gesetz zu folgen, wäre es auch nicht schön, weil es dann nur eine Exemplifikation des Gesetzes wäre. Es darf folglich auch nicht nur vom Gesetz allein abhängen, also nur heteronom sein. Schiller übernimmt einen Begriff und eine Idee von Immanuel Kant (1724–1804), dessen Werk er intensiv studiert hat, vor allem jenes philosophische Fundamentalwerk, in dem es Kant um ästhetische Urteile geht:
Die Kritik der Urteilskraft
von 1790. Wenn etwas unter einem Gesetz zu stehen, aber gleichzeitig frei zu sein habe, dann kann man diese doppelte Anforderung nur verwirklichen, wenn es sich selbst das Gesetz gibt. Selbstgesetzgebung ist die Antwort auf die Frage, wie etwas subjektiv und objektiv schön zugleich sein kann. So ist es autonom und heteronom zugleich; dafür hat Kant den Begriff der Heautonomie geprägt, einen Begriff, den Schiller übernimmt. Genau diese Idee, das Subjektive und das Objektive miteinander zu vermitteln, wird später auch eines der Leitprinzipien des Denkens und Schreibens von Goethe und Schiller in der Phase der deutschen Klassik werden.
Noch lange bevor Schiller dies theoretisch und begrifflich ausgearbeitet hat, scheint ihn aber die Idee umgetrieben zu haben und der Gedanke, noch kaum begrifflich präzisiert, Eingang in eine entscheidende Szene der
Räuber
, nämlich ganz am Ende des Stückes, gefunden zu haben. Wie kann Karl Moor am Ende des Dramas, nachdem er so viel Unrecht begangen bzw. zu verantworten hat, moralisch gut handeln? Nun, er muss schön handeln. Und wie kann er schön handeln? Er muss sich dem Gesetz fügen und muss doch gleichzeitig frei handeln. Er muss sich selbst, also frei, dem Gesetz unterwerfen: Er stellt sich. Selbstunterwerfung – Heautonomie. Alle klassischen Helden und Heldinnen werden später diesem Prinzip folgen.
Goethezeit: Klassik und Romantik
50. Wie haben Goethe und Schiller die Weimarer Klassik erfunden? Zwischen 1788 und 1789 sind Goethe und Schiller Nachbarn in Weimar. 1789 unterstützt Goethe Schillers Berufung auf eine Geschichtsprofessur nach Jena. Das Verhältnis beider ist von gegenseitiger Ablehnung geprägt. Goethe sieht in Schiller immer den Autor der
Räuber
und somit immer auch noch den Stürmer und Dränger und damit einen Typus und ein Programm, die er schon längst überwunden hat und wovon er sich, wie er es später beschreibt, «zu reinigen» versuchte. Und Schiller wiederum tut sich schwer, mit Goethes Position zurechtzukommen. Er schwankt zwischen Bewunderung und Ablehnung, Liebe und Hass und lässt sich sogar zu Vergewaltigungsphantasien hinreißen. So schreibt er am 2.2.1789 an seinen Freund Körner: «Mir ist er […] verhaßt, ob ich gleich seinen Geist von ganzem Herzen liebe und groß von ihm denke. Ich betrachte ihn wie eine stolze Prüde, der man ein Kind machen muss, um sie vor der Welt zu demütigen. Eine ganz sonderbare Mischung von Haß und Liebe ist es, die er in mir erweckt hat …». In solchen
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