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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
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Mannes eigentlich der Hauptgegenstand des Bestrebens beider Eheleute ist.» Dieses Zusammenspiel einer erotischen und einer sozialen Sphäre, die sich in der Ehe überlagern, macht die Ehe zu einem interessanten literarischen Thema. Insofern verhält sie sich komplementär zum Bildungsroman. Während der Bildungsroman eher die innere Entwicklung des Helden fokussiert, fokussiert der Eheroman die gesellschaftliche Bedeutung dieser Institution. Der Bildungsroman hat seine Hochphase um 1800, der Eheroman dann eher im Realismus, aber wie schon deutlich geworden ist, entwickeln sich beide thematisch bestimmten Romanformen nebeneinander.
    Ein frühes und markantes und immer noch aktuelles Beispiel hat Jean Paul (Jean Paul Friedrich Richter, 1763–1825) mit seinem Roman
Siebenkäs
aus den Jahren 1796/97 geliefert. Der eigentliche Titel hat geradezu barocke Ausmaße:
Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel
. Er konfrontiert die Ehe mit dem für Männer so attraktiven Alternativmodell zur Ehe, der Männerfreundschaft. Siebenkäs ist Armenadvokat in einem kleinen Marktflecken, Kuhschnappel. Er heiratet Lenette, auf die er zu Beginn des Romans wartet. Doch schon zuvor hatte er seine Identität mit seinem FreundHeinrich Leibgeber getauscht. Der eine ist in Wirklichkeit der andere. Der Ehe ist kein Glück beschieden; sie funktioniert nicht. Am Ende des Romans wird von den beiden Männerfreunden der Tod Siebenkäsens inszeniert, die Identität noch einmal getauscht, wodurch es Siebenkäs gelingt, eine neue Identität in Liechtenstein aufzubauen und eine neue Beziehung einzugehen.
    In Jean Pauls
Siebenkäs
ist die Eheproblematik noch sehr eng an die Identität der männlichen Protagonisten geknüpft. Dazu tragen auch die philosophischen Überlegungen bei, die in diesen Roman als Blumen-, Frucht- und Dornenstücke eingefügt sind. Berühmt geworden ist ein absolut eigenartiger und bemerkenswerter Text, der als
Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei
Berühmtheit erlangt hat. In diesem Text geht es um die Traumvision einer atheistischen Welt, die nur dazu dient, die Leere dieser Vorstellung so hervorzuheben, dass dadurch der Atheismus sich selbst widerlegt. In der Gesamtschau des Romans werden so die soziale Wirklichkeit und die transzendente Sphäre miteinander verwoben, Abgründe werden evoziert und zugleich wieder zurückgenommen. Bei Jean Paul ist die Ehethematik in eine grundsätzliche, aber auch ironisch gebrochene Erzählung der menschlichen Existenz eingebettet.
    60. Warum sagen Frauen «Ach»? Es ist auch ein Ehe-, aber mehr noch ein Liebesdrama, das Heinrich von Kleist ab dem Sommer 1803 mit seinem
Amphitryon
geschrieben hat und das 1807 in Dresden erstmals gedruckt wurde und erschienen ist. Am Ende dieses Dramas wechselt das Ehepaar nach geradezu abenteuerlichen Verwicklungen nur noch ganz wenige Worte. Der Ehemann nennt den Namen seiner Frau: «Alkmene», die Ehefrau hingegen sagt nur noch ein «Ach» – und damit endet das Drama. Was ist diesem «Ach» vorausgegangen? Jupiter hat sich in Alkmene verliebt und will ein Liebesabenteuer mit ihr erleben. Da aber Alkmene eine absolut treue Frau ist, ist es völlig ausgeschlossen, dass er als Jupiter – seine Göttlichkeit hin oder her – bei ihr landen könnte. Er kommt also als Amphitryon, als ihr geliebter Mann, zu ihr, und weil er ein Gott ist, ist er vielmehr Amphitryon, als es der echte Amphitryon je sein kann. Alkmene erwartet ihren Gemahl von einer Schlacht zurück, und diese Situation kann Jupiter ausnutzen und ihr als Amphitryon erscheinen. Währenddessen begegnet Merkur dem Diener Sosias, dessen Gestalt er angenommenhat und der mit dieser Situation kaum umzugehen weiß. Es entspinnt sich ein ebenso komödiantischer wie philosophischer Dialog über Ich und Identität. Sosias wehrt sich dagegen, dass man das Ich verobjektivieren und dann wie ein Objekt seinem Besitzer wegnehmen könnte.
    Noch dramatischer verhält es sich mit Alkmene. Hier geht es nicht um ihre Identität, sondern um die Identität desjenigen, der sie und den sie liebt. Sie erlebt eine wunderbare Liebesnacht mit Jupiter, aber Jupiter spürt, dass sie in ihm nur den Ehemann, Amphitryon, liebt. Er will Alkmene dazu bringen, ihn als Geliebten anzuerkennen, dem sie ihre Liebe freiwillig schenkt, nicht als Ehemann, der in der Ehe diese Liebe von ihr fordern kann. Für Alkmene ist

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