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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
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Pippa. Doch dann wird ihr Vater wegen einer Streiterei im Glücksspiel ermordet. Der alte Huhn, eine mystische Gestalt, verschleppt daraufhin Pippa. Hellriegel findet sie und will mit ihr nach Venedig gehen. Der Glashüttendirektor befindet sich währenddessen bei einer gleichermaßen mystischen Figur, dem alten Wann, bei dem er Rat sucht. Pippa stürzt herein und bittet um Hilfe für Hellriegel, der in der Zwischenzeit vom Schnee verschüttet wurde. Wann lässt Pippa und den geretteten Hellriegel in seiner Hütte übernachten, bevor sie sich am nächsten Tag auf den Weg nach Venedig machen sollen. Hier werden sie von Huhn entdeckt. Huhn und Wann kämpfen miteinander, Huhn unterliegt. Und als Pippa ein letztes Mal für ihn tanzt, stirbt er, aber auch Pippa. Michel ist blind geworden, er macht sich auf den Weg nach Venedig und glaubt Pippa an seiner Seite.
    Das literaturgeschichtlich Besondere an diesem Drama besteht darin, dass es in einem Theaterstück deutlich macht, was sich in der Epoche als Ganzes vollzieht. Es beginnt wie ein «klassisches» naturalistisches Drama: Es zeigt eine typische Szenerie aus der Arbeitswelt der untersten sozialen Sphäre, und es zeigt sie durchaus in naturalistischer Manier. Dann aber werden im Fortgang der Handlung anti-naturalistische Elemente immer wichtiger, die schließlich den Charakter des Dramas selbst verändern. Aus einem anfänglich naturalistischen Drama ist ein
Glashüttenmärchen
geworden, wie das Drama im Untertitel heißt. Und das zeichnet auch das literarische Feld um 1900 aus: die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, das Nebeneinander von naturalistischen und anti-naturalistischen, zum Beispiel neo-romantischen Strömungen.
    77. Wie hängen Prostitution und Mathematik zusammen? Sozialisation – das impliziert die Frage: Wie wird aus einem jungen Menschen – und in der patriarchalischen Sichtweise, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein vorherrschte, meinte das vor allem: aus einem jungen Mann – ein Mitglied der Gesellschaft? Im Laufe des19. Jahrhunderts wurde der Prozess der Vergesellschaftung vor allem an den Fragen der Sozialisation, der Bildung und Erziehung offenbar. Erziehung wurde zu einer gesellschaftlichen und nicht zuletzt staatlichen Aufgabe. Der rigide und zum Teil totalitäre Charakter von Nationalstaaten zeigte sich auch an der disziplinierenden Funktion von Erziehung und Erziehungsanstalten. So hatte vor allem die Internatsgeschichte um 1900 eine erste Hochkonjunktur. Erziehungsanstalten hatten immense und in erster Linie negative Auswirkungen auf die psychische oder musische Entwicklung der Jugend, für die es darauf ankam, ihre eigene Erziehung durchzustehen, ja zu überleben. Verschärft wurde dieser Konflikt durch eine psychische Disposition, die in ihrer eruptiven Kraft um 1900 wesentlich besser thematisiert und durchschaut werden konnte als noch in früheren Zeiten. Die Rede ist von der pubertären Sexualität.
    Genau dies bezeichnet die Ausgangssituation einer der berühmtesten Internatsgeschichten,
Die Verwirrungen des Zöglings Törleß
, von Robert Musil (1880–1942) aus dem Jahr 1906. Darin erzählt Musil, wie der junge Törleß aus gutem Hause auf ein Internat in der Provinz des Habsburgerreiches kommt. Seine Geschichte besteht vor allem in einem Skandal an diesem Internat, in den er hineingezogen wird. Einige der jungen Männer beobachten, wie ein Kamerad, Basini, einen Diebstahl begeht. Sie melden diesen Vorfall nicht, sondern wollen den Delinquenten selbst bestrafen. Die Art und Weise, wie vor allem zwei der jungen Männer, Reiting und Beineberg, mit Basini umgehen, wie sie ihn demütigen, wie ihre sadistischen Exzesse einer beängstigenden Selbstdynamisierung unterliegen, schildert der kurze Roman auf eindrucksvolle Weise. Törleß bleibt dabei nicht unschuldig, obschon er nicht aktiv an den Quälereien beteiligt ist. Seine Rolle beschränkt sich vielmehr auf das Beobachten. Es geht schon sehr bald nicht mehr nur darum, einen Dieb zu bestrafen, sondern darum, herauszufinden, was passiert, wenn man einen Menschen in eine solche Situation treibt, in der er so gar nichts mehr von seinem Menschsein zurückbehalten hat. Hier wird das Experiment einer Grenzerfahrung literarisch gestaltet, dem alle unterworfen werden, und am intensivsten derjenige, der am wenigsten aktiv wird, weil er sich im Wesentlichen auf seine Beobachterposition beschränkt. Vielleicht wird gerade hier der Naturwissenschaftler und Ingenieur Musil spürbar.
    Hierbei

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