Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur
gefunden hat. Es handelt sich um den Roman
Fabian. Geschichte eines Moralisten
, der in den frühen 20er Jahren in der Weimarer Republik, genauer gesagt: hauptsächlich in Berlin, spielt und der 1931 veröffentlicht wurde. Erzählt wird die Geschichte von Dr. phil. Jakob Fabian, der promovierter Germanist ist, aber als Werbetexter arbeitet. Der Roman schildert die schwierige, aber extrem vielschichtige Situation der Menschen in der Wirtschaftskrise der Weimarer Republik und kann dabei aus dem vollen Leben schöpfen. Soziale, ökonomische und politischeVerwerfungen werden eindrucksvoll geschildert. Der Kampf zwischen den linken und rechten Feinden der jungen Republik wird drastisch inszeniert, Fabian erlebt Schlägereien und Totschlag mit. Aber er durchstreift auch die Halbwelt Berlins, die Bordelle, Kneipen, Ateliers, Salons. Fabian begegnet dieser Welt distanziert, souverän, ironisch und auch pessimistisch, aber seine Erlebnisse verändern seine Haltung. Als er die junge Cornelia Battenberg kennenlernt und sie sich wechselseitig verlieben, ist Fabian in der Lage, Empathie, Engagement und Optimismus zu entwickeln. Aber gerade in dieser Situation wird es für ihn schwierig, sich zu behaupten. Er verliert seinen Arbeitsplatz, ein Kollege klaut seine Ideen. Fabian wird vor allem durch die unglückliche Liebesgeschichte mit Cornelia Battenberg desillusioniert oder besser: des-ironisiert. Weil sie gerne als Schauspielerin Karriere machen möchte, schläft sie sich nach oben. Fabian verlässt sie und schließlich auch Berlin und kehrt in seine Heimatstadt zurück. Eine Arbeit bei einer rechtsgerichteten Zeitung schlägt er aus. Als er einen Jungen entdeckt, der in einen Bach gefallen ist und zu ertrinken droht, springt er ins Wasser, um ihn zu retten, obwohl er selbst nicht schwimmen kann. Der Junge kann sich alleine retten, aber Fabian ertrinkt. Der letzte Satz lautet daher auch: «Lernt schwimmen!»
Selten kann man bei einem Buch so deutlich angeben, was denn nun die Moral von der Geschichte ist. Dieser Imperativ, schwimmen zu lernen, ist eine moralische Norm. Und im Grunde genommen ist dieser Imperativ eine Warnung genauso wie ein Appell. Gemeint ist damit natürlich auch, obenauf zu bleiben, nicht unterzugehen, und das bedeutet, Distanz zu wahren, realistisch zu bleiben und vor allem nicht von der Moral, von moralischen Prinzipien abzulassen. Die Welt, die Kästner in diesem Roman beschrieben hatte, war allerdings drauf und dran, von der Moral abzulassen. Kästner blieb immer Moralist.
90. Wie episch ist Brechts
Mutter Courage
? Auf dem Gebiet des Dramas und nicht zuletzt der Dramentheorie und ihrer praktischen Umsetzung hat Bertolt Brecht (1898–1956) Erstaunliches geleistet, und es ist nicht verkehrt, ihn in einem Atemzug – in einer chronologischen Folge – mit Aristoteles und Lessing (siehe Frage 36) zu nennen. Brecht entwickelte eine radikal neue Definition des Theaters, die das Theater als Institution der politischen Aufklärung und despolitischen Kampfes begriff. Eine Idee des Theaters, die den Zuschauer in seinen Bann zieht, um ihn zu unterhalten, war Brecht zuwider. Er sprach von einem kulinarischen Theater, das Stücke auf die Bühne bringt, die der Zuschauer regelrecht verschlingen kann, von denen aber keine nachhaltige Wirkung und keine Veränderung des Zuschauers ausgehen. Brecht aber wollte politisch wirken. Wenn aber die kulinarische Wirkung des Theaters dieses Potenzial verhinderte, so kam es in der Logik von Brechts Theatertheorie, die er schon früh, in den 20er Jahren, auch zusammen mit Erwin Piscator, experimentell entwickelte und die er 1948 in seinem
Kleinen Organon für das Theater
systematisch reflektierte, darauf an, diese Funktion der bloßen Unterhaltung zu unterminieren. Aus dieser Überlegung heraus entwickelte sich eine Theaterform, die dann unter dem Namen des epischen Theaters in die Theatergeschichte eingehen sollte. Der Begriff allein macht deutlich, dass hier zwei Gattungsbegriffe zusammengebunden werden. Das Theater sollte epische Elemente enthalten, die die dramatische Darstellung unterbrechen. So sollte es möglich werden, den Zuschauer aus seiner passiven Rezeptionshaltung herauszuholen, ihn zu belehren, ihn politisch zu schulen oder zu indoktrinieren oder ihn gar zum Handeln zu motivieren. Diese epischen Elemente konnten allerlei Störelemente sein, die den Gang der Dramenhandlung unterbrechen, zum Beispiel Lieder, die noch einmal konzentriert und sentenzhaft
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