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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
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Gradmesser seiner Rezeption lag und liegt stets in der Frage, inwieweit er Jugendliche ansprechen konnte. In der Nazizeit war er im deutschsprachigen Bereich verpönt. Dass er 1946 den Nobelpreis bekommen hat, hat zunächst nicht positiv auf die Wertschätzung Hesses gewirkt. Aber dann passiert in den 60er Jahren etwas Eigenartiges. Für eine ganze Generation amerikanischer Jugendlicher wird er zum Kultautor. Offenbar fühlen sie sich in einer bestimmten Weise angesprochen. Zwar kann man sich überlegen, welche Themen Hesse aufgegriffen hat, die dann wieder auf einem ganz anderen Kontinent, zu einer ganz anderen Epoche, unter ganz anderen soziokulturellen Umständen virulent geworden sind, aber das allein erklärt nicht völlig hinreichend, wie es einem Autor gelingen konnte, drei Generationen nach seiner Zeit einen solchen Zuspruch zu finden. Dass Harry Haller, der Held seines in dieser Hinsicht herausragenden Romans
Steppenwolf
(1927), nach dem sich später eine Band benannt hat, Drogen nimmt, um sein Bewusstsein zu erweitern und seine Wahrnehmung so zu verändern, dass daraus eine neue Persönlichkeit entsteht, gehört sicherlich in diesen Kontext. Dass Hesse Versatzstücke fernöstlicher Kulturen und Religionen rezipiert hat, um sie in seine Konzeptionen anderer Erfahrungsräume einzubauen, wird sicherlich auch zu diesem Erfolg beigetragen haben.
    Hesse hat offenbar Jahrhundertthemen aufgegriffen, wie insbesondere die Sozialisation Jugendlicher, wobei er – und das scheint ein Geheimnis seines späteren Erfolges gewesen zu sein – nicht so sehr das Sozialisationsziel, sondern den Sozialisierten in den Mittelpunkt seines literarischen Interesses gerückt hat, wie zum Beispiel in dem Roman
Peter Camenzind
(seinem ersten) oder in
Narziß und Goldmund
(1930). Zu seinen berühmtesten Romanen gehören sicherlich
Siddharta
(1922), der gleichermaßen eine exemplarische Jugendgeschichte und eine Geschichte des Erwachsenwerdens auf der Suche nach sich selbst und nach Selbsterkenntnis darstellt, und dann der
Steppenwolf
(1927). Harry Haller ist ein Held von 50 Jahren. Er ist in der Lebenskrise und steckt in tiefer Depression. Er mietet sich in einer fremden Stadt in ein Zimmer ein, verabscheut und beneidet das bürgerliche Leben, lernt dort die androgyne Hermine kennen, die ihn mit Maria bekannt macht. Auf einem Maskenball bekommt er einen Hinweis auf ein magisches Theater, ein Bewusstseinstheater, in dem er verschiedene Wahrnehmungsräume und Lebensoptionen imaginär kennenlernt. Hesses letzter Roman setzt diese Ansätze fortund treibt die Konzeption ins Esoterische. Hesse beginnt
Das Glasperlenspiel. Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
1931; der Roman wird 1943 veröffentlicht. Es erzählt die Sozialisationsgeschichte von Josef Knecht, der in einem geheimnisvollen Orden, der sich um das Glasperlenspiel herum gruppiert, zu einem Magister Ludi, zu einem Meister des Spiels, aufsteigt. Vor allem geht es, um es prononciert zu sagen, um so etwas wie selfdesigning oder selffashioning. Und das machte Hesse in einer bestimmten historischen Konstellation so attraktiv.
    89. Ist Kästner Moralist? Wer Kinderbücher schreibt, muss ein Moralist sein. Und Erich Kästner (1899–1974) hat sehr erfolgreiche und wunderbare Kinderbücher geschrieben. Kinderbücher leben von der Normvermittlung: ehrlich und aufrichtig zu sein, empathisch und solidarisch, engagiert und hilfsbereit. Weil Normen sehr zeitabhängig sind, sind auch Kinderbücher Konjunkturen unterworfen und veralten sehr schnell. Gute Kinderbücher aber sind davor weitgehend gefeit. Das liegt zum einen an den Normen, die offenbar zeitlos – oder wenigstens nicht so stark zeitbedingt – sind, und zum anderen an der kunstvollen Vermittlung. Kästners erzieherischer Impetus, den er in den Kinderbüchern verfolgt, lässt sich durchaus auf seine Erfahrungen mit und im Nationalsozialismus beziehen. Kästner war ein verbotener Autor. Er hatte Schreibverbot und konnte doch unter Pseudonym (Bertold Bürger) und mit Ausnahmegenehmigung schreiben.
    Dass der Nationalsozialismus die Macht ergreifen würde, war aber für ihn keine Überraschung, hat er doch die politische Situation vor 1933 sehr genau durchschaut und darüber auch einen Roman geschrieben, in dem die Frage nach der Moral, nach der Möglichkeit und der Notwendigkeit eines moralischen Lebens zentral behandelt wird, so dass sie sogar Eingang in den Untertitel

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