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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
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präsent wird. So hat Musil eine der interessantesten Figuren der Weltliteratur geschaffen, nämlich den Lustmörder Moosbrugger. Ein Gewaltmörder, der im Roman auf seine Zurechnungsfähigkeit hin untersucht wird und dabei bei mehreren Figuren ein eigenartiges Interesse hervorruft. Nun darf man nicht aus den Augen lassen, dass Musil keine realistischen Personen schildert, sondern dass alle seine Figuren immer auch Funktionen verkörpern. In dem Roman findet sich ein sehr seltsamer Satz, der genau darauf hinweist: «Wenn die Menschheit als Ganzes träumen könnte, müßte Moosbrugger entstehen» (18. Kapitel). Tatsächlich gibt es auch bei anderen Figuren Mord, Gewalt und Verbrechen. So ist das zweite Buch bzw. der dritte Teil überschrieben mit:
Ins Tausendjährige Reich (Die Verbrecher)
. Es handelt vor allem von der inzestuösen Gemeinschaft der beiden Geschwister Ulrich und Agathe, die zudem Agathes Mann um das Erbe ihres Vaters betrügen. So könnte man sagen, auch Ulrich ist eine Variante von Moosbrugger (oder umgekehrt), so wie das für jede andere Figur ebenfalls gelten könnte: Alle Figuren sind Moosbrugger.
    86. Ist Thomas Manns
Zauberberg
ein moderner Roman? Das Feld, auf dem die Frage sehr intensiv diskutiert worden ist, wie denn Literatur modern wird, ist das der Erzählung und des Erzählers. Als Beispiel fungiert hierbei vor allem der Roman. Wie kann modern erzählt werden? Und was macht den modernen Roman im 20. Jahrhundertaus? Der moderne Roman gewinnt seine Kontur gerade durch die Absetzung vom traditionellen, realistischen Roman des 19. Jahrhunderts. Einer der größten Erzähler steht genau in dieser Spannung zwischen realistischem Erzählen und modernem Roman: Thomas Mann. Vor allem hat ihn die Frage beschäftigt, ob sein großer Roman
Der Zauberberg
modern ist. Immer wieder wägt er zwei Seiten miteinander ab: Einerseits bezeichnet er seinen Roman – zum Beispiel in der späteren
Einführung in den Zauberberg
, einem Vortrag aus dem Jahre 1939 vor Studenten der Universität Princeton, der ab 1939 den Ausgaben des Romans als Leseanleitung beigegeben wurde – ohne jede Scheu als «modernen Roman», kurz darauf auch als «modernverzwickt». Auf der anderen Seite jedoch entwickelt Thomas Mann, zumal mit Blick auf andere markante Autoren der literarischen Moderne, insbesondere auf Proust und Joyce, ein Problembewusstsein und eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Modernität des eigenen Romans und des gesamten Schaffens seit dem
Zauberberg
. So freut er sich regelrecht, wenn er bzw. der
Zauberberg
, aber auch die späteren Arbeiten, nicht zuletzt der
Doktor Faustus
, im Zusammenhang mit Joyce und Proust erwähnt, besprochen oder gar thematisiert werden. Einerseits bezeichnet er sich «im Vergleich mit Joyce» (und in diesem Zusammenhang auch Picasso) als «flauer Traditionalist». Dieses Urteil wird er später, in der
Entstehung des Doktor Faustus
, als «Vorurteil» bezeichnen und weitgehend zurücknehmen; es bleibt nur etwas, was er «traditionelle Gebundenheit» nennt. Auf der anderen Seite aber nimmt er für sich in Anspruch, Joyce «gar nicht so fern» zu stehen. Was man über den
Ulysses
sagt, soll auch für seine Romane gelten: «… ‹Ulysses› is a novel to end all novels.› Das trifft wohl auf den ‹Zauberberg›, den ‹Joseph› und ‹Doktor Faustus› nicht weniger zu …», so Thomas Mann in der
Entstehung des Doktor Faustus
.
    Thomas Mann hebt dabei auf ein Merkmal des Romans ab, das die Romanform selbst aushebelt – so, in seinen Worten, «als käme auf dem Gebiet des Romans heute nur noch das in Betracht, was kein Roman mehr sei» – und gerade dadurch die Modernität des Romans ausmacht: ein Roman, der kein Roman mehr ist. Was Thomas Mann – natürlich nur in indirekter Vermittlung, da «der direkte Zugang zu dem Sprachwerk des Iren» ihm verschlossen sei – am
Ulysses
als ein solches Merkmal der Modernität auffällt, ist, einer
Ulysses
-Interpretation von Harry Levin zufolge, die Tatsache, wonach «Joyce’s technique passes beyond the limits of realistic fiction», wie er selbstin seinem späteren Roman
Die Entstehung des Doktor Faustus
zitiert. Demgegenüber behauptet aber Thomas Mann selbst die Modernität seines Romans: «Sie [die Geschichte] arbeitet wohl mit den Mitteln des realistischen Romanes, aber sie ist kein solcher, sie geht beständig über das Realistische hinaus, indem sie es symbolisch steigert und transparent macht für das Geistige und Ideelle.»

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