Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur
Übrigens revidiert Walter Benjamin (1892–1940), der in seinem Urteil über Thomas Mann noch von dem realistischen Modell ausgegangen war, nach dem und anlässlich des
Zauberbergs
seine Meinung. Der
Zauberberg
ist ein moderner Roman, nicht zuletzt deswegen, weil er die Diskussion um die Modernität des modernen Romans neu befeuert hat.
87. Erklärt
Doktor Faustus
Hitler? Spätestens (gemessen an der Chronologie der Literaturgeschichte) wenn man Thomas Manns großen Roman
Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde
, der zwischen 1943 und 1947 entstanden und 1947 erschienen ist, in den Blick nimmt, kann man erkennen, welch unglaubliches Potenzial Motiv, Struktur und Sujet des Teufelpaktes für die Literatur bietet. Offensichtlich ist der Teufelspakt nicht auf eine bestimmte Epoche oder eine bestimmte historische Problemkonstellation eingeschränkt. Der Teufelspakt erlaubt es, die Erfahrung des Unerfahrbaren literarisch zu bannen und damit das Unerklärliche zu erklären. Gerade weil der Teufelspakt für moderne Gesellschaften seit dem 18. Jahrhundert so anachronistisch wirken muss, ermöglicht er es der Literatur, ganz aktuelle Phänomene zu thematisieren. Thomas Mann scheint mit seinem Teufelspakt in die Romantik oder noch davor zurückzufallen, wo er den Teufelspakt als Vertrag zwischen dem Teufel und dem Künstler inszeniert.
Serenus Zeitblom, der Freund des Komponisten Adrian Leverkühn, schreibt dessen Lebensgeschichte auf. Natürlich handelt es sich dabei um eine fiktive Biographie. Leverkühn wird 1885 geboren, besucht mit Zeitblom das Gymnasium, interessiert sich sehr für Musik, studiert dann aber Theologie, was er nach vier Semestern abbricht, um sich doch ganz der Musik zu widmen. In Leipzig kommt er in Kontakt mit der Prostituierten Esmeralda, die er später wiedertrifft und von der er die Syphilis bekommt, obschon sie vor ihrem Körper warnt. Leverkühn geht nach Italien, wo es zur Begegnung mit dem Teufel und zum Teufelspakt kommt. 24 Jahre genialischenSchaffens bekommt Leverkühn vom Teufel, in denen es Leverkühn gelingen soll, eine ganz neue Musik zu schaffen, die die Kompositionsprinzipien des 19. Jahrhunderts hinter sich lässt und so zur neuen Zwölftonmusik vorstößt. Im Gegenzug darf Leverkühn nicht lieben und muss sein restliches Leben in menschlicher und atmosphärischer Kälte verbringen. Leverkühn wird immer einsamer, 1930 ist seine Zeit abgelaufen. Zuletzt lädt er Gäste aus seinem gesellschaftlichen Münchner Umfeld ein, denen er aus seinem letzten Werk, dem Oratorium
Dr. Fausti Weheklag
, vorspielt, und bricht dann physisch, psychisch und mental zusammen und dämmert den Rest seines Lebens nur noch dahin.
Das Entscheidende bei Thomas Mann allerdings besteht darin, dass der Teufelspakt nicht nur auf ästhetischem Gebiet vollzogen wird. Die Biographie von Leverkühn wird von Serenus Zeitblom immer auch mit der deutschen Geschichte verknüpft und damit vor allem mit der Geschichte der Nazidiktatur und des Zweiten Weltkriegs. Zeitblom schreibt sein Manuskript zwischen 1943 und 1945, insbesondere die Kriegsereignisse und der militärische Zusammenbruch der Nazididaktur sind im Roman präsent. Dadurch werden Historiographie und Biographie parallelisiert, das Leben des deutschen Tonsetzers bekommt etwas Paradigmatisches und Beispielhaftes. Leverkühn wird zum deutschen Schicksal par excellence.
Thomas Mann hatte sich schon früher die ideologische Nähe von Künstlertum und totalitärer Ideologie, die er einst selbst erlebt hatte, bewusst gemacht und reflektiert, so zum Beispiel in seiner Novelle
Mario und der Zauberer. Ein tragisches Reiseerlebnis
, die bereits 1930 veröffentlicht wurde, oder in seinem Essay aus dem Jahr 1938 mit dem provokanten Titel
Bruder Hitler
. Mit der Fertigstellung des Romans konnte Thomas Mann die gesamte Geschichte dieses deutschen Verhängnisses, also auch das Ende der Nazidikatur, überblicken und dafür relativ früh ein literarisches Erklärungsmodell für die Frage anbieten, wie Deutschland Hitler so erliegen und bis in die Katastrophe folgen konnte. Er will deutlich werden lassen, warum nicht trotz, sondern gerade wegen deutscher Kulturleistungen ein solcher Rückfall in die Barbarei möglich war.
88. Hat Hermann Hesse den Nobelpreis verdient? Jedenfalls hat er ihn bekommen, 1946. Hermann Hesse (1877–1962) war immer schon ein Autor, der über die Jugend und für die Jugend geschriebenhat, und der
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