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Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Arndt
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Boykottaufruf führten, widmet sie ganze vier neue, vorangestellte Sätze. Die vorgetragene Kritik tut sie als «deutsche Untugend einer falsch verstandenen ‹Toleranz›» ab. ADEFRA (Afrodeutsche Frauen in Deutschland) erneuerten daraufhin den Rassismusvorwurf und betonten, sie benötigten keine
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Stimmen, die ihre angeblichen Interessen vertreten, und schlossen in Anlehnung an die berühmten Worte Sojourner Truths mit: «Sind wir etwa keine Frauen?»
    Alice Schwarzer weist jeden Rassismusvorwurf entschieden zurück. Stattdessen schreibt sie, die Deutschen seien «seit der Nazizeit bemüht, über dem Verdacht des Rassismus zu stehen und Fremdes demonstrativ zu tolerieren.» Fremd meint hier: Es gibt eine Leitkultur und diese ist christlich. Für Schwarzer ist klar, dass der Protestantismus ein «besonderer Nährboden zu sein scheint für geißelnde Selbstverleugnung und adorierende Fremdenliebe.» Und sie ergänzt: «Diese islamistischen Kreuzzügler sind die Faschisten des 21. Jahrhunderts – doch sie sind vermutlich gefährlicher als sie, weil längst global organisiert.» Gefährlicher als die Nationalsozialist_innen? Tatsächlich orakelt sie weiter: «Die Parallelen zu 1933 drängen sich auf. Und auch damals handelte es sich um (zunächst) reine Männerbünde … Auch damals handelte es sich (zunächst) um eine Minderheit, die von einer gleichgültigen oder sympathisierenden Mehrheit toleriert wurden.» Sonst führen in unserem Land solche den NS relativierenden und verharmlosenden Äußerungen zu einem Aufschrei, zu «medialen Hinrichtungen» – in diesem Fall blieb es eigentümlich still. Eigentlich schon ein Gegenbeweis für Schwarzers immer wieder vorgetragene These, die deutschen Medien seien angeblich auf dem Islamauge blind – mit der von Schwarzer explizit genannten Ausnahme BILD-Zeitung.
    Ihre Argumentation bewegt sich nicht zufällig auf BILD-Niveau – seit Mitte 2007 hatte sie ausgerechnet für jene Zeitung angefangen zu werben, die sie jahrzehntelang scharf kritisierte und der sie immer wieder Menschenrechts- und Frauenfeindlichkeit vorgeworfen hatte. Noch eben gegen pornographisch abgebildete Menschen vorgegangen, warb sie nun auf einmal für eine Tageszeitung, die erst 2012 auf nackte Frauenkörper verzichten konnte. Sie sah sich hier gut aufgehoben, denn dass BILD besonders religionstolerant und antirassistisch sei, könnte der Zeitung niemand unterstellen. Das Problem ihrer Argumentation ist vor allem, dass sie, trotz anderslautender Vorsätze, kaum zwischen Islamismus und Islam unterscheidet. Für sie ist jede Kopftuchträgerin Propagandistin oder Opfer des Islamismus, oder beides zugleich. Das Kopftuch sei nicht nur «ein privates Stückchen Stoff», wie sie schreibt, sondern «die politische Flagge des islamischen Kreuzzuges» bzw. «die Fahne des Feldzuges der Gotteskrieger. Am Kampf für das Kopftuch sind sie zu erkennen: die Islamisten und ihre, bestenfalls, naiven Freundinnen.» Das Argument, das Kopftuch könne auch jenseits der Religiösität ein Zeichen vonAutonomie und Widerstand von Frauen sein, bezeichnet sie als lebensfern. Sie spricht Migrantinnen so pauschal Handlungsfähigkeit ab.
    Der EMMA ist jede Moschee eine Hochburg «der politischen Agitation» (1997/2001), die eine «zunehmende islamische Missionierung unter Deutschen» bewirke. Wie es in einem Vorwort von Schwarzer im Jahr 2010 heißt, sei «das wahre Problem … die systematische Unterwanderung unseres Bildungswesens und des Rechtssystems mit dem Ziel der ‹Islamisierung› des Westens, im Klartext: die Einführung der Sharia mitten in Europa.» Wenn Schwarzer schließlich auch noch 1994 bzw. 2001 meint, dass Frauen in «Relation zum Mann … immer eine Stufe tiefer (stehen) – unter uns sind nur noch Kinder und Tiere», dann beschwört sie nicht nur das rassistische Stereotyp, Männer of Color bedrohten
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Frauen. Zugleich negiert sie wie viele andere Feminist_innen jene Macht, die
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Frauen haben: Rassismus. Und das ist selbst wiederum eine Form konkreten Rassismus’.
    Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak hat die berühmte Formel geprägt: «white men saving brown women from brown men». Das lässt sich durchaus übertragen. Denn der
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Feminismus in Deutschland und in anderen Teilen der westlichen Welt scheut sich, seine eigene rassistische Geschichte aufzuarbeiten und paternalistische Grenzüberschreitungen, für und über andere zu sprechen, aufzugeben. Neben den

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