Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
Untergehen/Dir noch vielleicht entstehen.»Mit anderen Worten: er solle in das Land seiner Geburt zurückkehren, er und eventuelle Nachfahren seien in Deutschland unerwünscht. Amo fuhr nach Westafrika zurück. Gesicherte Angaben über seine weiteren Lebensumstände sind nicht bekannt, vermutlich starb er 1754.
Die Universität Halle, die seit 1994 den Anton-Wilhelm-Amo-Preis für ausgezeichnete Forschungsarbeiten an Studierende und Graduierte vergibt, beauftragte 1965 den Bildhauer Gerhard Geyer, eine Bronzeplastik im Gedenken an Anton Wilhelm Amo zu erstellen. Sie steht noch heute auf dem Universitätsgelände und trägt die Inschrift: «Dem Andenken Anton Wilhelm Amos aus Axim in Ghana. Dem ersten afrikanischen Studenten und Dozenten der Universitäten Halle-Wittenberg und Jena 1727–1747.» Da kein Porträt von Amo überliefert ist, hat der Künstler einen afrikanischen Mann und eine afrikanische Frau, wie er und wohl viele Weiße «sie» sehen, moduliert. Der Mann posiert mit nacktem Oberkörper und in einen Rock gekleidet neben einer (ausnahmsweise) vollständig bekleideten Frau. Wer käme beim Betrachten auf die Idee, hier werde an einen Gelehrten, einen Philosophen des 18. Jahrhunderts erinnert? Kein
weißer
Philosoph der Aufklärung würde jedenfalls je so «geehrt» werden.
93. Wer hat in Deutschland Angst vor Kopftüchern? Bei dieser Frage wissen alle gleich: Es geht hier nicht um irgendein Kopftuch. Es geht um
das
Kopftuch,
das
muslimische Kopftuch. In Deutschland haben fast alle dazu eine Meinung, vielen gilt es als Flagge des Islams, der ihnen Angst bereitet. Angst ist seit jeher ein enger Verwandter des Rassismus: der Schwarze sei ein Vergewaltiger, Jüd_innen raffgierig, Migrant_innen nähmen Arbeitsplätze weg, usw. Und der Islam? Als Europas aktueller Feind Nummer Eins gilt er der Bevölkerungsmehrheit als bedrohlich, wird pauschal als rückständig, antiwestlich und antifreiheitlich deklariert.
Die
muslimische Frau und
ihr
Kopftuch gelten als unmissverständliches Beweisstück dafür.
Tatsächlich gibt es
die
muslimische Frau ebenso wenig wie
ihr
Kopftuch. Musliminnen leben in beinahe jedem Land der Erde (vielleicht nicht im Vatikan, dort gibt es aber andere Kopftuchträgerinnen), manche von ihnen tragen Kopftücher, manche Jeans, manche Bikinis, manche Burkas. Sie mögen diese Kleidungsstücke freiwillig oder aufgrund einer staatlichen oder gesellschaftlichen Anordnung tragen; sie mögen sich so kleiden, weil sie so sozialisiert wurden undes daher für schön und angemessen halten oder aber um anderen und/oder sich zu gefallen. In jedem Fall ist es ebenso falsch, zu glauben, dass jede Muslima gezwungen wird, ein Kopftuch zu tragen, wie, dass jede Frau ohne Kopftuch fortschrittlich, westlich und freiheitlich lebe – nach dem Motto, das Mariam Popal herausarbeitete: je weniger Kopftuch desto weniger Islam und deswegen umso besser – und umso mehr gegen das Kopftuch, umso befreiter vom Patriarchat. Es ist zudem ein Trugschluss anzunehmen, dass jeder Mensch, der gegen das Kopftuch wettert, auch andernorts für die Gleichberechtigung der Geschlechter eintreten würde. Generell wird viel über Muslima und ihre Kopftücher geredet, kaum aber mit ihnen selbst. Nicht wenige Frauen tragen daher ihr Kopftuch auch aus Protest – gegen den Umgang mit ihnen und ihrer Religion in Deutschland und Europa. Wer den individuellen, politischen und religiösen Botschaften des Kopftuchs und vor allem den vielen Stimmen ihrer Trägerinnen Gehör schenkt, nimmt Freiheit beim Wort – und macht es allen Systemen schwer, Menschen mit Kleideruniformierungen, sexistischer Gesetzgebung und religiöser Intoleranz zu terrorisieren.
94. Rassistische Emma? Alice Schwarzer, Deutschlands ehemalige Vorzeigefeministin und 1977 Gründerin sowie Herausgeberin von
EMMA. Das politische Magazin von Frauen,
ist seit Anfang der 1990er Jahre ins Visier feministischer wie anti-rassistischer Kritik geraten. In der EMMA sind seit 1993 Artikel erschienen, die von verschiedenen feministischen Projekten, Gruppen und Vereinen als rassistisch charakterisiert wurden, welche deswegen zu einem Boykott der EMMA aufriefen. Alice Schwarzer erkennt darin in ihrem Kommentar «Rassistische Emma?» Ende 2001 einen «Denunzierungsversuch». Wie wenig sie die für Intellektuelle typische Selbstkritik walten lässt, zeigt allein der Umstand, dass sie 2001 auf die Kritik mit dem Nachdruck eines Artikels von 1994 antwortet. Den Argumenten, die zum
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