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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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Landkarte Zamoniens.«
    Ein Raunen ging durch die Arena. Ich wußte, in Unbiskant war noch nie jemand gewesen. Der Name war eine Wortverschmelzung von »unbekannt« und »riskant«, den sich der Volksmund ausgedacht hatte. Um diesen Landstrich rankten sich die wildesten Gerüchte und Legenden, die jene über das Finstergebirge, die Süße Wüste und den Großen Wald zusammen in den Schatten stellten.
    Bei der Erwähnung des Wortes »Unbiskant« erschien in meinem Gehirn eine Meldung des Lexikons. Ich ließ mich davon nicht irritieren, sondern beschloß spontan, daraus wörtlich zu zitieren:
    Aus dem
»Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens
und Umgebung«
von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
    Unbiskant: Leicht alberne Wortzusammenziehung als Bezeichnung für einen Landstrich Zamoniens, der bisher vollständig unerforscht ist. Seine Unerforschtheit liegt nicht etwa an seiner exotischen Lage, im Gegenteil, er liegt an zentraler, gemütlich zugänglicher Stelle mitten in Zamonien und ist bequem zu Fuß oder mit dem Rikschataxi zu erreichen. Es ist nur so, daß sich niemand traut, Unbiskant zu betreten. Die größten und waghalsigsten Abenteurer sind bis an seine Grenzen gereist, nur um dort wieder unverrichteter Dinge umzukehren. Es geht eine unterbewußte Warnung von Unbiskant aus, etwas, das jedem empfiehlt, einen Umweg zu nehmen. Man nimmt an, daß Unbiskant aus sogenanntem Telepathischem Treibsand besteht, einer feinflüssigen Sandsorte, die per Gedankenübertragung vor sich selbst warnen kann. Das einzige, was man von Unbiskant definitiv weiß, ist, daß in seinem Zentrum ein Vulkan steht. Weil man ihn nur aus Hunderten von Kilometern Entfernung betrachten kann und er aus dieser Entfernung so harmlos wie ein Maulwurfshügel wirkt, nennt man ihn den »Maulwurfsvulkan«.
    Das Publikum nahm derlei Belehrungen über Unbiskant eher murrend zur Kenntnis, das waren zamonische Gemeinplätze. Jeder kannte die Gerüchte um Unbiskant. »Ich war eines Tages unterwegs durch die Salzmarschen der Hochebene von Dull, um einen Brief vom Gouverneur von Ornien zum Bürgermeister von Gralsund zu bringen ...«
    Schon wieder murrte das sensationsgierige Publikum, überfordert von so vielen langweiligen Einzelheiten.
    »... und ein Geschenk für meine Liebste, die dort ebenfalls auf mich wartete.«
    Hier japsten die Frauen im Publikum. »Liebste« und »Geschenk«, das waren Worte, die eine romantische Entwicklung verhießen.
    Ich beschrieb lang und breit einen güldenen Ring, den ich von den besten Goldschmiedetwerpen in Florinth hatte schmieden lassen. Ich ließ mich langatmig über die Karatzahlen der Goldschichten, die Formen der glückbringenden Ornamente und den Text der Liebesschwüre aus, die ich in den Ring hatte eingravieren lassen. Die Frauen hörten aufmerksam zu, während einige Männer gelangweilt stöhnten und ein paar Blutschinken Lippenfurze von sich gaben. Dann fügte ich wie beiläufig hinzu, daß der Ring mein ganzes Vermögen verschlungen hatte, und ich merkte noch an, daß ich etwas unsicher sei, ob er auch passen würde, hatte ich ihn doch nach meinem Augenmaß fertigen lassen. Nun beschrieb ich die Geliebte. Ich nahm mir jenes Traumgeschöpf zum Vorbild, das mir die hypnotische Flüssigkeit der Waldspinnenhexe vorgegaukelt hatte. Als ich die Blaubärin dem Publikum beschrieb, zerriß es mir beinahe das Herz, so sehr hatte sich ihr Bild in mir eingeprägt. Meine Qual machte meine Beschreibung nur noch eindringlicher, die Frauen auf den Rängen seufzten und entfalteten ihre Taschentücher in Erwartung eines freudentränenreichen Wiedersehens.
    »Ich durchschritt also zügig die Salzmarschen an der Stelle, wo der schilfige Rohrbewuchs des tundraartigen Erdreichs in moosige Kleinflora übergeht...«
    Wieder stöhnte das Publikum. Geographische Genauigkeit war im Megather nicht gefragt.
    »... als ich die Stimme des Treibsands von Unbiskant in meinem Kopf hörte.«
    Das Murren verstummte.
    Treibsand.
    Allein das Wort verheißt Spannung: die unsichtbare lauernde Gefahr, in die Unschuldige geraten können, eine Gefahr dazu, die einen ganz langsam in die Tiefe zieht, die entweder zu einem qualvollen Tod führt oder zu hochdramatischer Rettung. Treibsand ist einfach unschlagbar, wenn man ein Publikum in seinen Bann ziehen will. Wenn der Sand auch noch sprechen kann - um so besser.
    »›Bleib stehen!( summte der Sand in meinem Kopf, ›geh nicht weiter! Du wirst in mir versinken!

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