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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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Nachtigaller ist mir etwas schuldig. Ich habe ihm mal das Leben gerettet. Übrigens in allerletzter Sekunde.«
    Als ich mich von Mac verabschiedete, gab es keine großen Worte. Fünf Tage waren wir geflogen, bis er mich in den Finsterbergen Zamoniens absetzte. Der höchste Bildungsweg lag offensichtlich in der höchsten Region des Kontinents. Wir landeten vor einem unscheinbaren Höhleneingang ohne Tür, düster und abweisend. Über dem Eingang war ein N eingemeißelt, ein schwarzer Pfeil auf der Wand wies ins Innere der Höhle.
    »Das ist der Eingang zur Nachtschule«, erklärte Mac.
    Stumm schüttelte ich seine Klaue. Ein Jahr lang war er mein Halt gewesen, sein Rücken der Boden, auf dem ich stand. »Halte immer die Augen offen!« krächzte er etwas unsicher.
    »Und verzichte soweit wie möglich auf fleischliche Ernährung.«
    Er drückte noch einmal fest meine Pfote, dann schwang er sich in die Lüfte. Es war ein majestätischer Anblick, nur dadurch beeinträchtigt, daß er direkt auf eine Felswand zuflog ...
    »Hochziehen!« rief ich.
    In letzter Sekunde - wie üblich - zog er hoch und segelte über die Felswand. Dann verschwand er im Schatten der Berge.
    Düster und unheimlich klaffte der Höhleneingang der Nachtschule in der eisernen Bergwand. Wieder einmal lag eines meiner Leben abgeschlossen hinter mir, und ungewiß und dunkel drohte ein neues. Ich sollte ein wildes, freies, abenteuerliches Dasein eintauschen gegen Schulunterricht in einem düsteren Stollen. Sehr verlockend war das nicht. Einen kurzen, trotzigen Augenblick lang dachte ich daran, einfach umzudrehen und wegzulaufen, irgendwohin. Unter mir gähnten die tiefen Schluchten der Finsterberge. Die Abhänge waren steil und boten kaum Halt. Ich atmete dreimal tief durch und betrat den finsteren Tunnel.

6.
    Mein Leben
    in den
    Finsterbergen

W issen«, brüllte Professor Nachtigaller in den Klassenraum und riß dabei seine Augen auf, bis sie so groß wie Untertassen waren, »Wissen ist Nacht!« Das war ein Lehrsatz der Eydeetischen Philophysik, ein Fach, das nur an der Nachtschule gelehrt wurde.
    Professor Nachtigaller sagte öfter solche Sachen, wahrscheinlich um uns aus der Fassung zu bringen. Es steckte Methode in diesen scheinbar sinnlosen Behauptungen: Bevor man dahinterkam, daß sie völlig blöde waren, hatte man in alle möglichen Richtungen gedacht. Und das war genau, was Professor Nachtigaller wollte: Wir sollten denken lernen, und zwar in möglichst viele verschiedene Richtungen. In diesem Fall steckte allerdings eine gewisse Wahrheit in dem, was er gesagt hatte, denn Professor Nachtigaller war ein Eydeet. Eydeete sind die intelligentesten Wesen Zamoniens (und vermutlich der ganzen Welt, wenn nicht sogar des Universums). Bei normaler Beleuchtung haben sie einen Intelligenzquotienten von 4ooo, aber wenn es dunkel wird, steigert er sich ins Unvorstellbare. Daher halten sich Eydeete gerne in möglichst finsteren Verhältnissen auf, und deshalb war Nachtigallers Nachtakademie in einem düsteren Höhlensystem in den Finsterbergen untergebracht. Professor Nachtigaller arbeitete in seiner Freizeit an einem System, Dunkelheit noch dunkler zu machen. Er hatte sich dafür eigens eine Dunkelkammer eingerichtet, die niemand außer ihm betreten durfte. Wir legten auch keinen großen Wert darauf, denn die Geräusche, die wir hörten, wenn wir gelegentlich an der Tür horchten, waren alles andere als einladend.
    Ein normaler Eydeet hat drei Gehirne, ein begabter vier, ein Eydeet mit Geniestatus fünf, Professor Nachtigaller hatte sieben. Eins davon befand sich im Kopf, vier wuchsen ihm aus der Schädelplatte, eins saß da, wo normalerweise die Milz ist, und wo das siebte Gehirn war, blieb ewiger Gegenstand der Spekulation seiner Schüler.
    Oberflächlich betrachtet sah er ziemlich klein und schwächlich aus. Seine dünnen Ärmchen baumelten wie überflüssig an seinem gebückten Oberkörper, der von zwei wackligen Beinen, die wie mit Stoff umwickelte Gartenschläuche wirkten, nur sehr unsicher getragen wurde. Aus einem leichten Buckelansatz wuchs ein langer dürrer Geierhals, der den Kopf mit all seinen Gehirnen zitternd balancierte. Seine großen strahlenden Augen quollen weit aus den Höhlen hervor, so daß man ständig befürchtete, sie könnten ihm aus dem Kopf fallen, besonders wenn er sich aufregte. Ja, Nachtigaller wirkte sehr zerbrechlich, aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Er bevorzugte es einfach, Probleme durch geistige

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