Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Anstrengung zu lösen. Tatsächlich durfte ich einmal beobachten, wie der Professor eine Dose Ölsardinen durch bloßes Nachdenken geöffnet hat. Ich habe danach für immer aufgehört, hinter seinem Rücken kleine Papierkügelchen nach ihm zu werfen.
»Ihr seid etwas ganz Besonderes!« brüllte Professor Nachtigaller so laut, daß wir alle zusammenfuhren. Er erinnerte uns immer wieder daran, daß die Absolventen der Nachtakademie jeder auf seine Art einzigartig waren. Damit hatte er allerdings recht: Wir waren wirklich etwas Besonderes. Insgesamt hatte die Nachtschule zur Zeit genau drei Schüler: Fredda, die Berghutze, Qwert Zuiopü, den Gallertprinzen aus der 2364. Dimension, und mich, den Blaubären. Grundsätzlich nahm Professor Nachtigaller nur Lebewesen auf, von denen es nachweislich nur noch ein einziges Exemplar auf der Welt gab - die Nachtschule war eine echte Eliteakademie. Ich sollte vielleicht meine Klassenkameraden und den Lehrkörper etwas näher beschreiben, bevor ich mit der Handlung fortfahre, denn sie sind tatsächlich erklärungsbedürftig.
Fredda:
Fredda war das einzige weibliche Wesen in der Nachtakademie und unsterblich in mich verliebt. Soweit die guten Nachrichten. Die schlechten: Fredda war eine Berghutze, und Berghutzen sind wahrscheinlich die häßlichsten Kreaturen, die man sich vorstellen kann. Nein, sehen wir der Sache ins Gesicht: Berghutzen sind mit Abstand die häßlichsten Kreaturen, die man sich vorstellen kann.
Aus dem
»Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens
und Umgebung«
von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
Bergnutze, die: Beheimatet im südzamonischen Hutzengebirge, darf die gemeine Berghutze allgemein den sogenannten arglosen Gebirgsdämonen zugerechnet werden, wie auch der Klammtroll und die Gletschermume, also Gebirgsbewohner ohne schlechte Absichten, im Gegensatz zu Stollentrollen oder Lawinenhexen. Eigentlich harmlos im Umgang, ist die Berghutze durch ihr abschreckendes Äußeres zu relativer Einsamkeit verdammt. Dabei ist ihre wahre Häßlichkeit noch nicht einmal sichtbar. Durch eine Gnade des Schicksals sind Berghutzen mit dichtem verfilztem Haar bewachsen, so daß man ihre tatsächliche körperliche Beschaffenheit nur ahnen kann. Den Anblick einer komplett rasierten Berghutze könnte niemand ertragen. Sie vegetiert gewöhnlich auf den höchsten Gipfeln des Hutzengebirges, kann klettern wie eine Gemse mit Affenarmen und, wie es der Volksmund überliefert, sogar auf Wolken wandeln, was aber getrost als unwissenschaftliche Spekulation ins Reich der Legenden verwiesen werden darf.
Grundsätzlich sind Berghutzen zutraulich und anschmiegsam, aber ihre Gefühle werden selten erwidert, was mit der Zeit zu ihrem Aussterben führte. Berghutzen haben die Angewohnheit, sich von oben herab auf die Rucksäcke von Bergsteigern niederfallen zu lassen und dort in ein markerschütterndes Gekreisch zu verfallen - so drücken sie in freier Wildbahn ihre Zuneigung aus. Dieses Verhalten ist der Grund für die Tatsache, daß alle Bergsteiger, die jemals einer Berghutze begegneten, danach niemals wieder einen Berg bestiegen haben und Tiefseetaucher oder Grubenkontrolleure geworden sind.
Fredda war für ihre etwa 400 Jahre erschütternd unreif und albern. Sie störte ständig den Unterricht durch kuriose Geräusche und beschoß mich mit Papierkugeln, auf die Herzchen und Liebesschwüre gekritzelt waren. Sie stellte mir in der Pause ein Bein, setzte sich auf meinen Rücken und steckte mir so lange ihren Bleistift ins Ohr, bis ich versprach, sie zu heiraten. Dagegen unternehmen konnte ich nichts, denn Fredda hatte die Kraft von zehn Berggorillas, die Reflexe eines Pumas und die Ausdauer eines Delphins. Niemand in der Klasse war ihr gewachsen, außer Professor Nachtigaller.
Fredda konnte nicht sprechen, nur schreien, aber Nachtigaller hatte ihr als erstes das Schreiben beigebracht und ihr einen dicken Block Papier und einen Stift geschenkt, die sie seither immer mit sich führte. Sie unterhielt sich mit uns über kleine Zettel, die sie mit ihrer gestochenen Schönschrift vollkritzelte.
Ein Gespräch mit ihr sah ungefähr so aus:
Ich: »Hallo, Fredda!«
Fredda: »Guten Morgen, Blaubär!«
Ich: »Na, gut geschlafen«?«
Fredda: »Ging so. Ich habe ein Nest mit Finderbergfledermäusen in meinen Haaren. Die haben die ganze Nacht gepiepst.«
Ich: »Brrr ...«
Wie schon erwähnt, konnte ich Freddas Gefühle nicht erwidern, aber ich
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