Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
und Thema umzuschalten. Während des Unterrichts steckte mir Fredda ständig ihre Zettelchen zu, zumeist mit Gedichten beschrieben, die vorwiegend von ihren beiden Lieblingsthemen handelten; ihrem Heimweh nach den Hutzenbergen und ihrer romantischen Fixierung auf mich. Sie waren keine große Literatur, aber sie reimten sich immerhin:
Hutzenberge riesengroß
Hutzenberge makellos
Hutzenberge sind so weit
Hörst du meinen Hutzenschrei?
Oder:
Blau muß mein Geliebter sein
Blau wie süßer Blaubeerwein
Blau wie Himmel weit und leer
Blau wie wildes großes Meer
Bist du gelb - nein Dankeschön!
Abgelehnt wird auch das Grün
Selbst das Rost kann mich nicht locken
Blau nur haut mich aus den Socken
Als ganz besonders eindrucksvoll habe ich die Unterrichtsstunde in Erinnerung, in der Professor Nachtigaller das Werden des Lebens auf unserem Planeten Schritt für Schritt darstellte, vorn Einzeller bis zur höchsten Lebensform.
Zuerst verkörperte er das Nichts, krümmte sich in sich zusammen und behauptete mit dünner, kaum hörbarer Stimme, nicht vorhanden zu sein, was man ihm durchaus abnehmen konnte, so unscheinbar und nichtig erschien er uns in diesem Augenblick. Hätte er behauptet, er sei gar nicht anwesend, hätten wir wahrscheinlich auf dem Korridor nach ihm gesucht. Dann fing er an, sich zu entwickeln, erst in eine Zelle, ein winziges, biegsames Lebewesen, das nervös durch das warme Urmeer zuckte. Mit den Schultern ruckend, torkelte Nachtigaller in seiner Zellimitation durch den prähistorischen Ozean, bis er sich langsam beruhigte und in eine Qualle verwandelte. Er blähte sich auf, streckte beide Arme aus, drehte sich ganz langsam um seine eigene Achse und schien zu schweben, elegant wie ein aufgespannter Sonnenschirm, der im Meer versinkt.
Als nächstes wurde aus ihm ein urzeitlicher Fisch mit mächtigen Kiefern und vorstehenden Zähnen, der in der Tiefe seine Opfer sucht. Nachtigaller tauchte unter den Pulten ab und war eine Weile tatsächlich verschwunden, bevor er plötzlich wieder auftauchte und wild mit den Augen rollte, was Qwert beinahe zu Tode erschreckte.
Danach blies er die Backen auf und verwandelte sich in eine fette Wasserkröte, die laut quakend an Land watschelt, wo sie umgehend zu einem fauchenden, gefährlichen Riesenalligator wurde. Diese Darstellung gefiel ihm selber so ausnehmend gut, daß er ein paarmal auf dem Bauch durch den Klassenraum rutschte und mit gefletschten Zähnen nach unseren Knöcheln schnappte, bis wir alle vor Angst quiekend auf den Tischen standen. Von diesem kleinen Scherz höchst befriedigt, ging er nun über zu der Verwandlung in einen Dinosaurier.
Zuerst gab Nachtigaller einen gemütlichen Pflanzenfresser, den mächtigen, aber harmlosen Brontosaurier. Er trottete vor der Klasse dickfellig hin und her und reckte seinen langen Hals nach den Geranien, die auf dem Pult standen. Er rupfte ein paar von ihnen mit den Lippen ab und kaute zur allgemeinen Erheiterung genüßlich auf ihnen herum. Schließlich - es hat sich auf ewig in mein Gedächtnis eingebrannt - wurde er mit beeindruckender Echtheit zum Tyrannosaurus Rex, zum gefährlichsten fleischfressenden Raubtier seiner Epoche.
Von allen vieren in aufrechte Haltung übergehend, sah er sich in der Klasse um, bleckte die Zähne, ließ seine Zunge aufreizend langsam über sein Gebiß gleiten und kratzte sich mit seinen angewinkelten Greifärmchen hinter den Ohren. Dann hob er den Kopf, verengte die sonst so großen runden Wissenschaftleraugen zu schmalen, gefährlichen Sehschlitzen und schnupperte gemein in der Luft herum. Wir kamen uns plötzlich alle vor wie Dinosaurierfutter.
Nachtigaller, oder besser: der Tyrannosaurus Nachtigallus warf den Kopf in den Nacken und stieß ein ohrenbetäubendes Gebrüll aus. Das war das furchterregendste Geräusch, das ich jemals gehört hatte, den Schrei der Gourmetica Insularis eingeschlossen. Fredda machte einen Satz über den Tisch, sprang auf meinen Rücken und hielt sich zitternd fest. Qwert Zuiopü nahm eine aufrechte Verteidigungsstellung ein, soweit ein Gallertwesen aus der 2364. Dimension eine aufrechte Haltung einnehmen kann. Ich selbst schloß in diesem Augenblick mit dem Leben ab.
Der Saurier wiegte seinen Kopf hin und her, als könne er sich nicht entscheiden, welchen von uns er zuerst fressen sollte, dann kam er langsam in seinem wankenden Echsengang auf uns zu. Ich könnte schwören, daß jedesmal die Erde bebte, wenn er einen Fuß aufsetzte. Geifer lief
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