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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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ungelöst stehengelassen hatte, weiter zu diskutieren und, wenn möglich, zu knacken. Die Gespräche gewannen von Tag zu Tag an Niveau; zuerst diskutierten wir einfache Rechenaufgaben oder Rechtschreibfragen, dann stellten wir eine eigene Logarithmentafel zusammen und entzifferten eigenständig frühzamonische Hieroglyphen. Nach ein paar Monaten nahmen wir uns die Lehren von Manu Kantimel, dem Begründer des Gralsunder Dämonismus vor, und widerlegten sie nicht nur vollständig, sondern wiesen auch nach, daß er sie aus einer yhollisischen Flaschenpost des 11. Jahrhunderts abgeschrieben hatte.
    Wenn Fredda nicht gerade auf meinem Rücken saß und mir Schreibgeräte in meine Gesichtsöffnungen steckte (neuerdings war sie zu den Nasenlöchern übergegangen), hockten wir im Speisesaal und stritten uns über Fhernhachische Xenoplexie oder die Auraschwankungen von Elfenflügel-Atomen unter Magneteinfluß.
    Eine Diskussion zwischen Fredda, Qwert und mir hörte sich etwa so an:
    Ich: »Ich beschäftige mich gerade mit den Grundlagen des südzamonischen Grobianismus.«
    Qwert: »Ah, jene philosophische Richtung, die davon ausgeht, daß kein Gegenstand die Existenz eines anderen in sich schließt, solange man nur diese Gegenstände mit der gehörigen Unsensibilität betrachtet?«
    Ich: »So ist es.«
    Qwert: »Das ist eine sehr interessante Denkungsart. Daraus würde ich folgern, daß Erfahrung die Summe von Ignoranz und militanter Dummheit ist.«
    Fredda:  »Finde ich überhaupt nicht. Das ist mir zu primitiv. Dass kommt davon, wenn sich Barbaren mit Philosophie beschäftigen. Der Erfinder des Grobianismus ist in einem Schilfsumpf aufgewachsen und schlägt seine Kritiker mit einer Kaule, das ist doch bekannt. Öaßt und lieber über Astronomiee reden. Ich bin neuerdings der Ansicht, daß sich das Weltall nicht ausdehnt. Es zieht sich auch nicht zusammen, Es wackelt nur.«
    Qwert: »Du redest von einem geschlossenen Weltmodell mit dem Krümmungsvorzeichen k = +1, bei dem Expansions- und Kontraktionsphasen einander periodisch abwechseln?«
    Ich: »Also, das ist mir jetzt wieder zu primitiv!«
    Naja, und so weiter.

    Ich wurde unglaublich belesen, obwohl es in der ganzen Akademie kein einziges Buch gab. Professor Nachtigaller erwähnte in einem Vortrag beiläufig »Die Zyklopenkrone«, das epische Sagenwerk von Hildegunst von Mythenmetz, und wenige Stunden später konnte ich sämtliche Verse daraus fehlerfrei aufsagen, kannte jede frühzamonische Gottheit beim Vornamen und hätte selbst makellose Hexameter schmieden können. Er sagte etwas über den viertausendseitigen Roman »Der schwarze Wal« von Yohan Zafritter, in dem es um die Jagd auf einen Tyrannowalfisch Rex ging, und kurz darauf kannte ich nicht nur den kompletten Inhalt, sondern wußte auch, wie man eine Walfischleine von der Balje weg nach achtern nimmt und über einen Poller leitet und was »Walfisch« auf lateinisch, griechisch, isländisch, polynesisch und yhollisisch heißt, nämlich cetus, cytoz, hvalur, piki-nui-nui und trom.
    Auf die Gefahr hin, der Prahlerei verdächtigt zu werden: Ich war ein wandelndes Lexikon des Allgemeinwissens. Ich beherrschte alle lebenden und toten Sprachen der damals bekannten Welt, inklusive aller zamonischen Dialekte, und das waren immerhin über zwanzigtausend.
    Ich konnte die kompletten Sonette der zamonischen Barockdichtung auswendig, war Experte für Quelltaler Lüftlmalerei, Dullsgarder Minnesänge und Kometenschweifanalyse. Ich konnte die stündliche Ausdehnung des Universums anhand der Zuckungen der Finsterbergalgenzelle berechnen, ein ausgesprungenes Gehörknöchelchen mit einer Pinzette einrenken, die Blutgruppe eines fossilen Insektes durch Facettenaugendiagnose bestimmen und die Anzahl von Pantoffeltierchen in einem Glas Wasser mit geschlossenen Augen am Gewicht einschätzen. Die Bibliothek von Blenheim, die größte Spezialbibliothek Zamoniens zum Thema Dämonologie, hatte nicht so viele Buchtitel im Register wie ich im Gedächtnis. Ich haßte Mathematik, aber die Quadratur von Kreisen, die Kubatur von Ellipsen und die Rektifikation von allem möglichen waren für mich ein Kinderspiel.
    Meine Kenntnisse beschränkten sich durchaus nicht nur auf Literatur, Naturwissenschaften, Philosophie und Kunst, ich beherrschte auch jeden denkbaren Bereich des täglichen Lebens: Ich wußte, wie man eine Turmuhr repariert und eine Nockenwelle fräst, wie man die Statik eines Staudamms errechnet, ein Gehirn trepaniert und eine

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