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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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aus seinen Lefzen, und ich war vollkommen sicher, daß Professor Nachtigaller diesmal seinen Verstand verloren hatte, in jedem einzelnen seiner sieben Gehirne gleichzeitig, und daß er seine Rolle als Tyrannosaurus Rex bis zum blutigen Ende spielen würde. Wir waren gemeinsam unter mein Pult gekrochen und hielten uns zitternd aneinander fest. Der Tyrannosaurus Nachtigallus beugte sich zu uns herunter, öffnete die Lippen und zeigte uns sein abgefeimtestes Grinsen. Sein Speichel tropfte auf den Fußboden.
    Dann hielt er plötzlich inne und blickte nach oben, als höre er ein fernes beunruhigendes Geräusch. Er gab einen irritierten Laut von sich, nahm ein Papierknäuel von seinem Pult, warf es hoch in die Luft und ließ es auf seinen Kopf fallen. Als wäre er tödlich verletzt, wankte er dramatisch auf uns zu, röhrte noch einmal markerschütternd und brach schließlich nur wenige Zentimeter vor uns zusammen. Er hatte uns gerade dargestellt, wie die Dinosaurier ausgestorben sind: durch den Einfall mächtiger Meteoriten.
    »Nach dem Dinosaurier gab es eigentlich nur noch eine einzige interessante Stufe in der Entwicklung des Lebens«, schloß Professor Nachtigaller seinen Vortrag ab. Er breitete die Arme aus und grinste.
    »Sie steht vor euch: der Eydeet - die Krone der Schöpfung.«
    Es gab keine Hausaufgaben, keine Klassenarbeiten, keine Noten und keine mündlichen Prüfungen. Nachtigaller stellte keine Fragen, prüfte nie unseren Wissensstand und ermahnte uns nie zur Aufmerksamkeit. Er sprach, wir hörten zu.
    Zwischenfragen waren völlig tabu. Nachtigaller allein bestimmte, welches Thema wann angeschlagen, welcher Lehrstoff durchgenommen oder wann ein Wechsel zu einem anderen Thema fällig war. Der Professor funktionierte wie ein Radio, an dessen Senderknopf ein Verrückter dreht. Er kam von Molekularbiologie auf Gesteinskunde, von Gesteinskunde zur ägyptischen Architektur, von dort zur Lehre von Faulgasen auf anderen Planeten und wieder zurück zur Insektologie mit einem Abstecher zur Darstellung der zamonischen Dreiflügelbiene in der atlantischen Wachsmalerei des 14. Jahrhunderts. Wir erfuhren das Wichtigste über die Käsekalkskulpturen von Florinth, die Karyatidenkultur an Gralsunder Sakralbauten, über die Heilwirkung der peruanischen Ratanhiawurzel, das Balzverhalten der Midgardwürmer, die wichtigsten Vertreter der zamonischen Speläologie (einer davon war Nachtigaller) und die zweihundertfünfzig Grundsätze der Buchtinger Unabhängigkeitserklärung, alles an einem Nachmittag.
    Zwischen den Vorträgen lungerten wir in den düsteren Stollengängen herum oder schlugen in unseren kargen fensterlosen Zimmern die Zeit tot. Ab und zu wagten wir uns hinaus auf das Plateau vor dem Stolleneingang der Nachtschule, wo Mac mich abgesetzt hatte. Lange hielten wir es dort aber nie aus, weil es wegen der Höhe selbst im Sommer extrem zugig und kalt war. Dort holten wir so oft und tief Luft, bis wir Halluzinationen bekamen. Wenn wir unseren Bedarf an frischem Sauerstoff gedeckt hatten, zogen wir uns wieder in das muffige Stollensystem zurück. Körperliche Ertüchtigung gab es keine, davon hielt Professor Nachtigaller überhaupt nichts. Er war der Meinung, daß jede sportliche Betätigung wichtige Gehirnzellen abtöte. »Jeder geschwollene Muskel hat eine wichtige Geistestat auf dem Gewissen«, war seine Überzeugung.
    Es gab auch keine anderen Zerstreuungsmöglichkeiten, weder Spiele noch Bücher noch sonst irgendwas, das von Nachtigallers Lehrstoff ablenken konnte. Wenn der Unterricht zu Ende war, verzog sich der Professor umgehend in seine Dunkelkammer, um an seinen Finsternisexperimenten zu arbeiten, und wir mopsten uns, aßen Ölsardinen oder dösten, bis er wieder herauskam und den Unterricht fortsetzte. Die Schulstunden waren das einzig Interessante in den Finsterbergen. Wahrscheinlich war auch das ein Grund, warum Professor Nachtigaller ausgerechnet diesen Ort für seine Nachtakademie ausgewählt hatte.

    Manch langen Nachmittag verkürzte ich damit, Qwert dazu zu bringen, mir von der 2364. Dimension zu erzählen. Gerne tat er das nicht, weil es sein Heimweh verstärkte, aber wenn er einmal losgelegt hatte, war er kaum noch zu bremsen.
    Aus irgendeinem Grund gab es in jener Dimension ganz viele Teppiche. Man kann sogar sagen, daß sie sich komplett aus Teppichen zusammensetzte - wo kein Teppich war, war meistens ein Dimensionsloch. Ein Teppich bedeutete in der 2364. Dimension Stabilität und Sicherheit, wer

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