Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Zeitbombe baut, ich konnte einen stabilen Glockenstuhl schreinern und ein verstopftes Klo wieder in Gang bringen, ich wußte, wie man ein Cello stimmt und eine Leber punktiert. Ich konnte den Grundriß einer Kathedrale zeichnen, ein Symphonieorchester dirigieren und nebenher noch die Flugbahn einer Kanonenkugel bei Seitenwind berechnen. Aus einem Stück ungegerbten Leder hätte ich in Null Komma nichts einen aparten Damenschuh fertigen können und aus genügend Schilfrohren ein solides Reetdach. Ich wußte, wie man eine Linse schleift und ein schmackhaftes Weizenbier braut. Ich kannte die Namen von allen Sternen am Himmel und allen Mikroorganismen im Ozean.
Nur eins wußte ich nicht: woher all dieses Wissen kam.
Dann kam der Tag, an dem Fredda ging. Ihre Schulzeit war abgelaufen, sie wurde jetzt in die Welt entlassen. Eigentlich hätte ich erleichtert sein sollen, diesen Quälgeist loszuwerden, aber dem war nicht so. Fredda war schließlich meine erste Liebe, auch wenn sie nur eine häßliche Berghutze und die Liebe ziemlich einseitig war. Ich hatte mich einfach an sie gewöhnt, und wenn es darum ging, unsere intellektuellen Höhenflüge auf einen vernünftigen Kurs zu bringen, war Fredda einfach nicht zu ersetzen. Ich konnte nicht begreifen, wie Nachtigaller sie so herzlos vor die Tür setzen konnte, denn genau das war es, was er tat. Zum Glück können Berghutzen von Natur aus nicht weinen, sonst hätte es sicher eine fürchterliche Szene gegeben.
Die Abschiedszeremonie war äußerst nüchtern. Es gab weder eine Feier noch ein Zeugnis oder irgendeine Urkunde, Fredda verabschiedete sich nur von jedem (von mir mit heiserem Krächzen und einem zu feuchten Kuß) und wurde dann von Professor Nachtigaller zu einer Stollenabzweigung geführt. Sie ging zögernd in den Stollen hinein, während sie mir traurig zuwinkte. Das war der offizielle Ausgang der Nachtschule, der, wie man unter den Schülern munkelte, ins Stollenlabyrinth der Finsterberge führte. Als wir in den Klassenraum zurückkamen, saß auf Freddas Platz ein neuer Schüler, ein schüchternes Einhorn namens Fogelweide.
Fogelweide war der größte Gegensatz, den man sich zu Fredda vorstellen konnte. Er war still, folgte aufmerksam dem Unterricht, sprach mit leiser, dünner Stimme und war hoffnungslos langweilig. Er schrieb in seiner freien Zeit Gedichte, die alle von Einhörnern handelten, die einsam waren, darunter sehr litten und alle Fogelweide hießen.
Irgend etwas war an Professor Nachtigallers Unterricht anders geworden, es machte mir neuerdings Schwierigkeiten, ihm zu folgen. Der Lehrstoff war nicht schwerer als sonst, und Nachtigallers Vortrag war so fesselnd wie immer, aber es war einfach so, daß ich mir den Stoff nicht mehr merken konnte. Kaum war die Unterrichtsstunde vorbei, konnte ich mich schon nicht mehr daran erinnern.
Manchmal ertappte ich mich dabei, daß ich gar nicht mehr zuhörte und meine Gedanken abschweifen ließ. Ab und zu traf mich dann ein scharfer Blick von Professor Nachtigaller und weckte in mir Schuldgefühle. Ich hatte den Eindruck, immer blöder zu werden, obwohl ich in meiner Freizeit Differentialgleichungen im Kopf löste.
Nach kurzer Zeit kamen wieder neue Schüler in die Nachtschule, zwei nicht sonderlich sympathische Burschen namens Groot und Zille.
Groot war der letzte Vertreter einer Gattung von Schweinsbarbaren, was eigentlich schon alles über ihn sagt. Er hatte mehr Muskeln als ein Ackergaul und atemberaubend schlechte Manieren. Wenn man mit Groot sprach, knuffte er einen ständig oder schlug einem seine speckige Pranke auf die Schultern. Er hatte kurzes fettiges Haar, Mundgeruch und einen Stoppelbart, obwohl er erst acht Jahre alt war. Ständig stieß er Flüche aus, in denen alle möglichen Götter, Riesen oder andere Sagengestalten wichtige Rollen spielten, wie »Beim Famer!« oder »Da soll mich doch der Tatzelwurm holen!«. Abends, wenn wir in den Betten lagen, pflegte er uns mit seinen Blähungen zu peinigen, auf die er anscheinend auch noch stolz war. »Achtung, jetzt kommt die Rache Wotans!« kündigte er seine phänomenalen Fürze immer an. Wir zogen dann die Decken über die Köpfe und hielten den Atem an, bis das Schlimmste vorbei war. Es hätte keinen Zweck gehabt, ihn zurechtzuweisen, denn körperlich war Groot allen anderen überlegen, seitdem Fredda nicht mehr da war.
Zille war ein Hempelchen, der letzte aus dieser Sippe von kleinwüchsigen Zyklopen. Die Hempelchen waren eine ziemlich
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