Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Luft in den Tunneln vor sich her und erzeugten einen Sturm, der die ihm folgende Katastrophe ankündigte. Spätestens als ich den Wind in meinem Fell spürte, ahnte ich, daß etwas sehr Unangenehmes auf mich zukam. Es klang wie eine U-Bahn, die in einen Bahnhof rauscht. Dann kam der Fluß um die Ecke.
Es war ein runder Pfropfen aus schäumender Gischt, der wie eine Lokomotive auf mich zuraste. Er überspülte die Finsterbergmade und donnerte weiter in meine Richtung. Ich rannte los, aber fast im gleichen Moment schlug das Wasser schon über meinem Kopf zusammen.
Ich bin gut im Luftanhalten, aber zwei Stunden lang schaffe ich es nicht. Ich kann, bei entsprechender Vorbereitung, mit etwas Meditation und Atemübungen, bis zu zwanzig Minuten die Luft anhalten. Man wird ja gelegentlich auf See von größeren Wassermassen überspült, man sinkt schon mal mit seinem Schiff auf den Meeresgrund, wird von Walfischen verschluckt, von Riesenkraken in die Tiefe gezogen, kurzum: Ein größeres Lungenvolumen gehört zur Grundausstattung eines Seebären. In diesem Fall aber hatte ich keine Gelegenheit zur Meditation, ja, ich hatte nicht mal mehr Gelegenheit, richtig Luft zu holen.
Von der einen Sekunde zur anderen war ich komplett von Flüssigkeit umschlossen, was um so schockierender ist, wenn man lange Zeit unter extrem trockenen Verhältnissen gelebt hat. Wie eine Gewehrkugel wurde ich vom Wasserdruck durch das Stollenlabyrinth katapultiert, ein wildes Brausen erfüllte meine Ohren, und sehen konnte ich nur einen wei- ßen Funkensturm, der durch den gewaltigen Wasserdruck auf meinen Augäpfeln entstand. Dann sah ich gar nichts mehr, weil ich instinktiv und klugerweise die Augen schloß. So schoß ich blind und schwerelos durch die Finsternis, wobei ich mich immer wieder um die eigene Achse drehte.
Die Luft in meinen Lungen begann nun langsam, sich bemerkbar zu machen. Wenn man unter normalen Umständen atmet, ist die Luft ein ständig kommender und wieder gehender Gast, beim Einatmen steigt sie in den Luftröhrenfahrstuhl ein, fährt hinunter zur Lunge, sieht sich dort kurz um und nimmt den gleichen Weg beim Ausatmen wieder nach draußen. In diesem Fall aber blieb die Luft in der Lunge. Nach einer Weile schien sie sich auszudehnen und gegen meine Lungen wände zu drücken, wie ein kleines gefangenes Tier, das verzweifelt einen Ausgang sucht. Um mich von diesem unangenehmen Gefühl abzulenken, beschloß ich, kurz die Augen zu öffnen. Das Wasser war erstaunlich klar, durchstrahlt vom Phosphoreszieren der Tunnelwände, ich konnte sogar Luftbläschen sehen, die in einem wilden Ballett meinen Körper umtanzten. Luftbläschen! In jedem Bläschen befand sich etwas Sauerstoff, in mehreren zusammen vielleicht ein Atemzug - und hier waren Tausende! Vielleicht war es sogar der Lufthauch, dem ich im Tunnellabyrinth schon einmal begegnet war. Ich mußte ihn nur erreichen und den lebensspendenden Sauerstoff absaugen! Also schürzte ich meine Lippen zu einem kurzen Strohhalm und manövrierte meinen Kopf durch ein paar Verrenkungen in die Richtung einer Perlenkette von drallen Luftblasen.
Ich hatte gerade die letzte davon erreicht, als die ganze Bande von lebensrettenden Sauerstoffkügelchen gemeinsam Tempo zulegte. Ich folgte ihnen mit kräftigen Schwimmzügen und verringerte wieder den Abstand. Noch drei Schwimmzüge trennten mich vom letzten Bläschen. Eins ... zwei ... und ... ein rasanter Wasserstrudel überholte mich, ergriff die Schlange von Luftbläschen und verschwand mit ihnen in einem dunklen Seitentunnel.
Ich brüllte vor Enttäuschung und entließ damit auch noch den letzten Rest von Sauerstoff aus meiner Lunge. So muß sich ein U-Boot fühlen, das vom Wasserdruck zerquetscht wird.
Dann sah ich den Stollentroll. Beziehungsweise, ich glaubte, den Stollentroll zu sehen, denn wahrscheinlicher ist, daß es nur eine Vision war, die mir mein Gehirn aus Sauerstoffmangel vorgaukelte. Der Stollentroll trieb an mir vorbei, auf dem Rücken liegend und die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er überholte mich aufreizend langsam, lächelte mir dabei freundlich zu und winkte noch, bevor er um eine Tunnelecke verschwand. Das war das Ende, zweifellos. Meine inneren Organe schienen sich aufzublähen und kurz vor dem Explodieren zu stehen. Meine Augen quollen aus den Höhlen, und in meinen Ohren donnerte es, als stünde ich am Fuße der Niagarafälle. Ich hatte das Gefühl, daß kochendes Wasser durch meine Adern floß und sich in meinen
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