Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Finsterbergmade zu versetzen. Besonders der Vers mit den Stollentrollen gefiel mir.
Das einzige Problem war die scheinbar unerschöpfliche Energie der Made. Sie machte keine Ruhepausen und schlief anscheinend auch nicht, jedenfalls nicht in der Zeit, in der ich hinter ihr her war.
Finsterbergmade, die [Forts.]: Die Finsterbergmade gehört zur Gattung der Einschläfer, d.h., sie schläft nur ein einziges Mal in ihrem Leben, dann aber 14 Jahre an einem Stück, kurz nach Erreichen ihres zweihundertsten Lebensjahres. In
dieser Zeit verbraucht sie die bis dahin angesammelten Eisenreserven und atmet nur einmal im Monat.
Nachdem ich ihr drei Tage lang dicht auf den Fersen war, gingen meine Energien zu Ende. Das Tempo der Made und ihre Arbeitswut waren kolossal. Immer öfter mußte ich mich hinsetzen und verschnaufen, gelegentlich fiel ich sogar in leichten Schlaf. Einmal wachte ich auf, und die Finsterbergmade war verschwunden. Das letzte Loch war längst erkaltet. Sosehr ich mich anstrengte, ich konnte nichts von den Arbeitsgeräuschen der Made hören. Und vor mir lag eine Tunnelgabelung. Wenn ich nur einmal die falsche Abzweigung nahm, dann wären alle Mühen umsonst gewesen.
»Einmal rechts und zweimal links Das ist doch nicht schwer zu merhen Nur in diesem Takt gelingt's
Schwerer ist's, ein Hemd zu stärken.«
Das letzte Tunnelloch war nach rechts gegangen, also bog ich jetzt nach der Anweisung des Gedichtes zweimal links ab. Ich hatte keine Gewähr, daß diese Empfehlung richtig war, vielleicht hatte sich von Mythenmetz die ganze Sache auch nur aus den Fingern gesogen.
Aber es war meine einzige Chance. Und tatsächlich befand sich im nächsten Gang ein relativ frisches Madenloch. Ich stieg über zischende Eisenpfützen hinweg, horchte in den übernächsten Gang - und fühlte mich erlöst, die vertrauten Arbeitsgeräusche der Finsterbergmade zu vernehmen. Eilig lief ich in ihre Richtung. Seltsamerweise hatte ich den Eindruck, daß es immer heller wurde. Ich bog um eine Tunnelecke und lief gegen eine Wand aus Licht.
»Dann schmolz die Wand, dann brach das Eisen Und durch das Loch strömte das Licht
Ich spürte Lufthauch, einen leisen
Und hatte weithin klare Sicht.«
Allmählich gewöhnten sich meine Augen an die Helligkeit, ich stand da in einer kühlen Brise und sah die Finsterbergmade, die mit dem Rücken zu mir in einem kreisrunden Loch stand, das ins Freie führte. Ich trat näher, ohne jede Furcht, und stellte mich direkt neben die Made. Auch jetzt nahm sie keinerlei Notiz von mir, vielleicht war sie auch einfach zu ergriffen von dem Panorama, das sich uns bot. Unter uns erstreckten sich mehrere Kämme der Finsterberge, weit ging der Blick über sie hinaus bis in eine weiße wattige Ebene. Wir befanden uns anscheinend in einer der höchsten Nadelspitzen des Gebirges, der Blick nach unten verlor sich im Nebel. Das Licht der Sonne wärmte meine klammen Glieder, und ich faßte Hoffnung.
Dann schob sich eine fette schwarze Gewitterwolke vor die Sonne, es wurde schlagartig kalt. Ich lehnte mich hinaus und spähte nach unten, es ging mehrere Kilometer in die Tiefe. Die Außenwände des Finstergebirges waren glatt wie polierter Marmor, nirgends gab es auch nur den geringsten Halt, auch nicht für den geschicktesten Kletterer. Alle Hoffnung fiel schlagartig von mir ab. Die Finsterbergmade machte ein paar schmatzende und schnuppernde Geräusche. Sie tänzelte nervös auf der Stelle und stieß Laute aus, die wie »Ääh!« und »Ööh!« klangen. Dann drehte sie sich abrupt um und lief in den Tunnel. Ich zögerte nur einen Augenblick, dann folgte ich ihr. Was nutzte mir ein Tunnelloch in dieser Höhe? Mir blieb nichts anderes übrig, als bei der Made zu bleiben und darauf zu hoffen, daß sie irgendwann eine Öffnung in geringerer Höhe freilegen würde.
Die Made lief sehr schnell, anscheinend ohne Plan, immer tiefer in den Berg hinein. Und ich hinterher.
BOOOOOONNNNNGGGGG!
Was war das?- Ein Glockenschlag, mitten im Gebirge? Die Bisenmade hielt inne.
BOOOOOOONNNNG!
Noch ein Glockenschlag, etwas leiser, weiter entfernt. BOOOOOOOOOOONNNNNNNNNNNGGGGGG!
Ein dritter Glockenschlag, lauter und näher als die beiden zuvor. »Ääh! Ööh!« machte die Made.
Dann setzte ein Getöse ein, wie ich es bisher noch nie gehört hatte: zahllose dröhnende Glockenschläge, gefolgt von langen Vibrationen, als säße man in einer Glocke, auf die Steine prasseln.
BONGBONGBONGBONGBONGBONGBONG
Weitere Kostenlose Bücher