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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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hinwegzutäuschen und zu weiteren sportlichen Höchstleistungen anzuspornen. Die Wahnvorstellungen sind ausschließlich angenehmer Art und haben mit schnellem Fortkommen zu tun, man hält sich beispielsweise gerne für eine Steppengazelle, einen Leopard oder einen Mauersegler, auf jeden Fall für irgend etwas sehr Schnelles.
    In meinem Fall war es wohl ein fliegender Waldgott, für den ich mich hielt, aber egal, solange ich dadurch schneller lief. Die Spinne war mir mittlerweile vollkommen gleichgültig. War sie überhaupt noch in Hörweite?
    BROMM! BROMM! BROMM! BROMM! BROMM! BROMM! BROMM! BROMM!
    In der sechsten Stunde war beides wieder da, mein Verstand und mein Körper, stärker und schwerer als je zuvor. Ich hatte das Gefühl, Zementsäcke zu schleppen, meine Beine waren wie mit Blei ausgegossen, der Schweiß hing schwer in meinen Fellhaaren, ich stolperte halb besinnungslos vor mich hin und hatte jede Zuversicht verloren. Das Marathonfieber hatte irgendwann ausgesetzt, der Größenwahn wich einer realistischen Einschätzung, und die bestand darin, daß ich mit meinen Kräften am Ende war und daß die Spinne deutlich an Land gewonnen hatte.
    BROMM! BROMM! BROMM! BROMM! BROMM! BROMM! BROMM! BROMM!
    In der siebten Stunde brach die Dämmerung herein. Mit ihr durchwehte eine erfrischende Brise den Wald, die meinen Schweiß trocknete und mir neue Kraft gab.
    Mit der Nacht kam auch die Dunkelheit. Ich habe selbst unter schlechtesten Lichtverhältnissen eine gute Sicht, das hatte sich schon in den Finsterbergen erwiesen. Ein angeborener seemänischer Orientierungssinn und ein extrem gutes Riechorgan machen es mir außerdem möglich, mich bei fast vollkommener Dunkelheit so sicher fortzubewegen wie eine Fledermaus. Ich rieche Bäume, bevor ich mit ihnen zusammenstoße, ein innerer Kompaß lenkt mich immer in die günstigste Himmelsrichtung, das sind Instinkte, über die nur ein Blaubär verfügt. Zudem konnte ich die Waldspinnenhexe immer deutlich hören und ihren Abstand zu mir einschätzen, wenn sie krachend wie eine Lokomotive auf Stelzen durch den Wald brach, zumal sie sich ein wütendes Fauchen und gieriges Sabbern nicht verkneifen konnte. Ich mobilisierte noch einmal alle Kräfte für den Endspurt. Entweder ein für allemal die Spinne abhängen oder von ihr gefressen werden. Ich setzte alles auf eine Karte.
    Jetzt machte sich die Allgemeinbildung der Nachtschule bezahlt, Lehrfach Biologie. Ich schlug Haken und Finten wie ein Karnickel, schlüpfte in Löcher wie ein Fuchs und sprintete wie ein Zebra auf der Flucht. Wie eine Eidechse huschte ich im Zickzackkurs über den Waldboden oder verschwand komplett im dichten Laub, durch das ich mich schlängelte wie eine Ringelnatter.
    Aber die Spinne hatte acht Augen und konnte sich daher mindestens genauso gut in der Dunkelheit orientieren. Ihr größter Vorteil war allerdings ihre Verzweiflung, die sie zu unerhörten Leistungen antrieb. Außer mir hatte sich seit langer Zeit niemand mehr in den Großen Wald verlaufen, die letzte Mahlzeit der Spinne lag schon sehr weit zurück. Spinnen können enorm lange von ihrer Nahrung zehren, aber irgendwann ist eben die letzte Kalorie verbraucht. Wenn die Waldspinnenhexe mich jetzt nicht in ihre Fänge bekäme, hätte sie nicht mehr die Kraft, ein neues Opfer zu locken und zu fangen, erst recht nicht nach dem gewaltigen Energieverschleiß des Marathonlaufs. Sie müßte unverrichteter Dinge zurück in den Wald kriechen und dort verhungern.
    Ich konnte deutlich vernehmen, daß sie es jetzt mit einem Sprint versuchte.
    BROMM!
    BROMM!
    BROMM!
    BROMM!
    BROMM!
    BROMM!
    BROMM!
    BROMM!
    Ich konnte mittlerweile nicht mehr so ohne weiteres von einer Fluchttechnik in eine andere überwechseln, denn letztendlich war ich kein Wiesel und auch keine Gazelle, sondern ein Bär, und Bären sind nun mal im Grunde ihres Wesens eher schwerfällig und neigen zur Gemütlichkeit. Meine Beine zogen so schwer nach unten wie Schiffsanker, jeder einzelne. Muskel in meinem Körper schmerzte auf seine ganz eigene Art, und am schlimmsten war diese Stimme in mir, die mich ununterbrochen aufforderte, doch mal fünfe gerade sein zu lassen und ein Nickerchen zu machen. Die Waldspinnenhexe hatte meine Schwäche längst gewittert und ihre restlichen Kräfte mobilisiert, was den Abstand zwischen uns rapide verkürzte. Sie fällte ganze Baumreihen mit einem einzigen Sensenschlag ihrer Krallenfüße, sie riß Büsche mit ihren Kieferzangen aus dem Boden und brüllte dabei

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