Die 13. Stunde
Zweifel.
Bob Shannon blickte in sein eigenes totes Gesicht.
Nick saß am Terminal für Privatflugzeuge in seinem Wagen und wartete auf Shannon. Er konnte es sich nicht leisten, Zeit mit Erklärungen zu verschwenden; deshalb hatte er sich den idealen Weg einfallen lassen, das Interesse des Detectives zu gewinnen.
Vor der letzten Zeitversetzung war er zum Taurus gerannt, hatte die Tür auf Shannons Seite geöffnet, hatte hineingegriffen und das Handy genommen, das der Detective an der Hüfte trug. Er hatte Shannons Nummer abgelesen, sie in sein Mobiltelefon eingetragen und Shannons Handy wieder in den Wagen geworfen. Rasch hatte er Dance’ Wagen umkreist und die fünf Fotos geschossen, die er soeben gesendet hatte, und damit eine Spannung geschaffen, der Shannon sich niemals entziehen konnte.
Neben Nick auf dem Sitz lag der Colt Peacemaker, den er aus dem Gebüsch geborgen hatte; die leeren Patronenhülsen waren herausgenommen und durch frische Munition ersetzt. Auf die gleiche Waffe hatte er vor fast zwölf Stunden in dem Verhörraum gestarrt; mit diesem Revolver hatte Dance Julia erschossen und die Waffe anschließend in den Kofferraum von Nicks Wagen gelegt, um ihm den Mord anzuhängen. Für Nick symbolisierte der Revolver Tod und Habgier. Doch die Gravuren auf dem Lauf und dem Rahmen der Waffe hatten nun geradezu prophetische Züge bekommen und spiegelten Nicks Streben nach Gerechtigkeit wider:
Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt … Dass ihr versammelt werdet als Gefangene in der Grube … Und ihr machtet des Zorns noch mehr … Dann wird kommen eine Finsternis über Ägypten … Und kämpft mit denen auf dem Wege Allahs, die mit euch kämpfen …
Das Motorengebrüll einer Maschine der American Air schüttelte Nicks Wagen durch wie anhaltendes Donnergrollen, als das startende Flugzeug in den klaren blauen Himmel stieg. In rhythmischem Gleichtakt, ohne jeden Zwischenfall, starteten und landeten Propellerflugzeuge und Verkehrsmaschinen. Der morgendliche Flugverkehr auf dem Westchester Airport nahm seinen gewohnten Gang.
Nick blickte durch die Windschutzscheibe auf das weite Vorfeld an der zentralen Abfertigung des Hauptterminals, wo sechs mittelgroße Passagiermaschinen Reisende aufnahmen, um sie in alle Teile des Landes zu bringen. Am äußersten Flugsteig stand ein weißer A 300 mit einem auffälligen, kreisrunden Firmenzeichen in Rot und Blau. Der Jet der North East Air stand ruhig da, während er aufgetankt und für den Flug vorbereitet wurde: Essens- und Getränkewagen wurden aufgefüllt, die Passagierkabinen wurden gereinigt und frische Kissen und Decken an Bord gebracht, ehe in einer Stunde die Passagiere zustiegen. Der Jet erhielt die Flugnummer 502 und würde nach einstündiger Reise am Logan International Airport in Boston landen. In diese Maschine würde Julia steigen – und mit ihr viele nichts ahnende Passagiere, die nach nur zwei Meilen Flug in den Tod stürzen würden.
Nick war so sehr auf seinen Versuch fixiert gewesen, den Einbruch zu vereiteln, um Julia zu retten, dass er die 212 Passagiere völlig außer Acht gelassen hatte. Doch so unglaublich es erschien – nun hatte Julia sich zu ihnen gesellt.
Zehn Stunden hatte Nick benötigt, um Julia vor ihrem bevorstehenden Tod zu bewahren und eine Welt zu schaffen, in der ihr Mörder nicht mehr existierte. Doch trotz seiner Bemühungen hatte er sie dem Tod ausgeliefert. Wegen seiner Irrtümer hatte Julia im Katastrophenflugzeug gesessen und einen schrecklichen Tod erlitten – einen Tod, vor dem Nick sich sein Leben lang gefürchtet hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, welche Gedanken Julia und den anderen Passagieren durch den Kopf geschossen waren, als die beiden Maschinen in der Luft zusammenstießen …
Nick wusste, das jeder Augenblick, jedes Ticken der Uhr hierher geführt hatten. Dazu, dass er den Flugzeugabsturz verhindern und nicht nur Julia, sondern auch 212 andere Menschen retten musste, die sinnlos gestorben waren.
Während Nick zu Anfang geglaubt hatte, er müsse einfach nur den Dominostein des Einbruchs am Umstürzen hindern, und Julia würde weiterleben, so wusste er nun, dass jede einzelne Entscheidung, die er traf, weit schlimmere Folgen haben konnte.
Er durfte sich nicht darauf verlassen, dass es genügte, wenn er den Schlüssel zu Dreyfus’ Cessna an sich brachte oder wenn er Julia eine Nachricht hinterließ, nicht in die Maschine zu steigen. Er konnte nicht einmal die
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