Die 13. Stunde
zusetzte. Er musste es tun, wenn er eine Hoffnung haben wollte, sie zu retten und herauszufinden, wer sie ermordet hatte. Um den Täter aufzuhalten, brauchte er jede noch so winzige Information, jeden Hinweis – und dazu gehörte auch das Wissen, wie Julia gestorben war.
Nick zwang sich, ihren Tod aus seinem Verstand zu verbannen. Schmerz und Trauer würden ihn nur daran hindern, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Er klammerte sich an den Gedanken, dass er dies alles tat, um Julia vor ihrem Schicksal zu bewahren, und dass er die Vergangenheit veränderte, um Julias Zukunft zu retten.
Nick überquerte die Auffahrt zur Vorderseite seines weißen Farmhauses und betrat es durch die einhundertzehn Jahre alte Vordertür.
Im Eingangsflur war es dunkel. Wegen des Stromausfalls durch den Flugzeugabsturz brannte kein Licht. Nick öffnete den Garderobenschrank, nahm die übergroße Taschenlampe heraus und schaltete sie ein. Die Sonne stand zwar noch über dem Horizont, aber das späte Tageslicht wurde rasch schwächer und spendete nicht mehr die Helligkeit, die Nick brauchte.
Er hatte erwogen, sich wie Marcus einen Generator zu kaufen, hielt es aber für Verschwendung, zwanzigtausend Dollar auszugeben, nur weil vielleicht einmal im Jahr für eine Stunde der Strom ausfiel. Doch als er nun auf der Suche nach einem Hinweis auf das Motiv für die Ermordung Julias das Haus durchstreifte, hätte er das Doppelte für einen Lichtschalter bezahlt.
Während ihrer Ehe hatten Nick und Julia sich auf zwei Dinge konzentriert: auf ihre Karrieren und auf den Partner. Sie waren früh übereingekommen, einen Notgroschen beiseitezulegen und auf ein eigenes Haus hinzuarbeiten, sodass keine Hypothek sie belastete, wenn sie sich für Nachwuchs entschieden. Sie hatten alles durchgeplant, hatten Zeitabläufe festgelegt und ihr Leben ganz allgemein auf Papier festgehalten wie einen Spielplan für den Super Bowl. Ihre Ausgaben für Urlaub beschränkten sie auf ein Minimum; Reisen nach Europa, Asien und den Rest der Welt mussten warten. Soweit möglich, reisten sie mit dem Auto. Camping, Museumsbesuche und Nächte am Strand waren nicht nur die einfachsten und billigsten Urlaubsvergnügen, sie bereiteten ihnen auch die größte Freude. Beide wussten, dass ein echter Urlaub nicht in einer Ortsveränderung, sondern in einem Geisteswandel bestand. Solange sie zusammen waren, hatten sie in heimischen Gefilden genauso viel Spaß wie in Paris, Monaco oder an irgendeinem exotischen Urlaubsziel.
Deshalb waren Regale, Tische und Wände mit Fotos übersät, die sie beide beim Angeln in Maine zeigten, beim Surfen an der Küste von Huntington Beach, beim Wandern im Grand Canyon, beim Erklettern von Felsspitzen in Wyoming. Sie waren gerne im Freien, genossen die kleinen Freuden, die die Natur bot, kehrten jedes Mal mit erfrischtem Geist zurück und trieben ihre vielversprechenden Karrieren weiter voran.
Obwohl sie nur acht Jahre verheiratet waren, bestand ihre Beziehung schon doppelt so lange; nachdem sie sich im Alter von fünfzehn ineinander verliebt hatten, waren sie bereits auf der Highschool miteinander gegangen. Ihre Freunde und Eltern hatten sich damals köstlich amüsiert, dass sie sich ihrer gemeinsamen Zukunft so sicher waren. Doch das Gelächter war endgültig verstummt, als sie sich an jenem Tag Ende Mai in der Kirche von St. Patrick’s das Jawort gaben.
Sie hatten einander bei einem Schwimmturnier kennengelernt. Nick war der Star der Mannschaft und hatte in der zehnten Klasse schon ein halbes Dutzend Schul- und Bezirksrekorde sowohl im Langstreckenals auch im Kurzbahnschwimmen erzielt. Julia war Ersatzschwimmerin für die Staffel über 4 x 200 Meter. Da sie ihre Schwimmkarriere auf der Kurzbahn verbracht hatte, hatte sie sich nie auf die 200-Meter-Strecke vorbereitet, für die sie nun eingeteilt war. Julia war schrecklich nervös; deshalb schickte der Trainer sie zu Nick, dem jüngsten Kapitän der Schule, der ruhige Selbstsicherheit ausstrahlte, die auf alle in seiner Nähe abfärbte.
Als Julia sich setzte, lächelte Nick und sagte ihr, sie brauche sich keine Gedanken zu machen. Er erklärte ihr, der Schlüssel zum Erfolg sei das richtige Tempo und das Aufsparen der Energiereserven, damit man auf der letzten Bahn noch einmal zulegen könne.
Doch als Julia an der Reihe war und ins Wasser sprang, schoss sie wie von Furien gehetzt davon und hätte beinahe einen Lungenflügel hervorgewürgt, als sie sich über die letzte Bahn quälte. Sie
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