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Die 13. Stunde

Titel: Die 13. Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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ihren Lippenstift, die Speisekarte von David Chens chinesischem Restaurant, eine Geburtstagskarte, ihren laminierten Firmenausweis, einen Schlüsselbund und eine Zugangskarte zum Gebäude eines Mandanten.
    Drei Gegenstände aber fehlten offensichtlich, obwohl sie nicht fehlten sollten, denn wie die meisten Geschäftsleute brauchte auch Julia ihre Brieftasche, ihr Handy und ihr PDA, ein Speichergerät nicht nur für E-Mails, Telefonnummern und Termine, sondern auch für Text-, Daten- und Bilddateien. Im Grunde war es ein kleiner transportabler Computer, eine elektronische Rettungsleine für das berufliche und private Leben.
    Und dann geschah es, sosehr Nick es auch zu vermeiden suchte: Er blickte ihr ins Gesicht – oder in das, was von der Schönheit übrig war, auf die er immer so gern geschaut hatte, wenn Julia schlief; die Augen, in die er gesehen hatte, wenn er sie in den Armen hielt, diese wunderschönen blauen Augen. Nun aber war die linke Hälfte ihres Gesichts verschwunden, weggerissen von der Revolverkugel. Nick richtete den Blick auf die weiße Rückwand, wo Splitter ihres Schädels zusammen mit der Kugel in der geborstenen Vertäfelung steckten, während ein Sturzbach aus Blut darauf gespritzt war wie ein Wasserfall.
    Übelkeit stieg ihm in die Kehle; alles drehte sich um ihn herum. Er würgte, doch am schlimmsten war der Schmerz in seinem Herzen. Ihm war, als würde es ihm aus der Brust gerissen. Er konnte nicht mehr atmen, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.
     Dann stieg aus seinem tiefsten Innern ein Schrei auf, erfüllte das Zimmer, das Haus … Die ganze Welt sollte seinen Schmerz hören. Es war ein Schrei, der zum Himmel gerichtet war, an Gott, ein Schrei der Qual und der Wut auf das Böse, das Julia aus dem Leben gerissen hatte.
    Was er als Nächstes tat, kostete Nick alle Kraft und Überwindung. Kein trauernder Mensch sollte jemals gezwungen werden, so etwas zu erleiden. Er griff in die Tasche, zog sein Handy hervor, klappte es auf und drückte auf die Kamerataste. Während ihm die Tränen über die Wangen liefen, hob er das Handy, hielt es mit beiden Händen, damit es nicht so sehr zitterte, richtete es auf Julias leblosen Körper und machte ein Foto.
    Von Trauer überwältigt, sank er auf die Knie und lehnte sich gegen die Wand, am ganzen Körper zitternd. Nun stürmte alles auf ihn ein: die Unlösbarkeit der Aufgabe, die vor ihm lag, und die verrückte Hoffnung, die er in das bloße Versprechen eines Fremden und in eine lächerliche Taschenuhr setzte.
    Aber Julia war tot. Zerfleischt und leblos lag sie vor ihm. Es gab keine Wunder, keinen Gott, der sie mit einem Wink ins Leben zurückholte. Vor ihm lag Julias Leiche, das war eine Tatsache, und er saß vor ihr und hatte versagt, war machtlos, hilflos und rannte dem Unmöglichen hinterher.
    Nick wusste nicht, wie lange er dort saß, im Schmerz verloren, während ihm der Kopf schwirrte und er sich aufzuraffen versuchte, einen Grund zum Weiterleben zu finden, als plötzlich Marcus vor ihm stand. Nick blickte mit geröteten Augen zu ihm hoch und fragte sich verwirrt, wo sein Freund hergekommen war. Der streckte die Hand aus und half Nick auf, als …
    Es traf ihn härter als ein Faustschlag ins Gesicht. Die Welt wurde schwarz, und die Luft in seiner Lunge schien sich in Eiswasser zu verwandeln. Um ihn herum breitete sich völlige Stille aus.
     Und plötzlich war Nick allein in der Küche, stand vor dem Kühlschrank, in der Hand eine kalte Coladose. Er konnte sich nicht erinnern, aufgestanden oder in die Küche gegangen zu sein. Er wusste nur noch, dass Marcus sich zu ihm vorgebeugt und ihm die Hand gereicht hatte.
    Nick atmete keuchend. Seine Haut prickelte, und er schauderte, als er an Julias verwüstetes Gesicht dachte, an ihren toten Körper auf dem Fußboden.
    Und plötzlich, wider alle Vernunft, kam sie ins Zimmer.
    Sie schaute Nick an, sichtlich erstaunt über seine Fassungslosigkeit.
    »Liebling?«, fragte sie leise. »Alles in Ordnung?«
     

 
     
     
    N ick blieben die Worte im Halse stecken.
    Julia kam näher. Keine Strähne ihres blonden Haares war verrutscht; ihre Augen leuchteten, erfüllt von Liebe und Besorgnis. Sie stand vor ihm, warm und voller Leben, als wäre sie soeben aus einem irrwitzigen Traum hervorgetreten.
    »Nick?«
    Wortlos zog er sie an sich und drückte sie so fest, als könnte sie ihm wieder entgleiten und als wollte er in wenigen Augenblicken seine Liebe zu ihr auszudrücken, ehe sie ihm wieder entrissen

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