Die 2 Chance
Ich habe seit seiner Entlassung kein Wort von ihm gehört.«
»Er hat Sie nicht besucht?«
»Ein einziges Mal war er da und wollte ein paar persönliche Sachen abholen. Er hatte geglaubt, ich hätte sie für ihn aufbewahrt. Aber ich habe ihm gesagt, dass ich den ganzen Kram weggeschmissen hätte.«
»Was für Sachen waren das?«, fragte ich.
»Überflüssige Briefe, Zeitungsartikel über den Prozess. Und die alten Waffen, die er noch hatte. Frank war schon immer ein Waffennarr. Zeug, das nur für einen Mann, der in seinem Leben nichts vorzuweisen hat, wertvoll ist.«
Jacobi nickte. »Und was hat er dann gemacht?«
»Gemacht?«, wiederholte Ingrid Thiasson verächtlich. »Er ist abgerauscht, ohne auch nur mit einem Wort zu fragen, wie unser Leben während der letzten zwanzig Jahre gewesen ist. Ohne ein Wort über mich oder seinen Sohn. Können Sie das glauben?«
»Und Sie haben keine Idee, wo wir ihn finden könnten?«
»Keine. Dieser Mann war Gift. Ich habe jetzt jemanden gefunden, der mich mit Achtung behandelt und der meinem Jungen ein Vater ist. Ich will Frank Coombs nie wiedersehen.«
»Wissen Sie, ob er mit Ihrem Sohn Kontakt hat?«, fragte ich.
»Nie und nimmer. Ich habe sie immer getrennt gehalten. Mein Sohn hat keinerlei Verbindung zu seinem Vater. Und belästigen Sie ihn nicht. Er studiert in Stanford.«
Ich trat einen Schritt vor. »Fällt Ihnen irgendjemand ein, der wissen könnte, wo er ist, Ms Thiasson, es würde uns helfen. Es ist ein Mordfall.«
Ich bemerkte, dass sie kurz zögerte. »Seit zwanzig Jahren führe ich ein gutes Leben. Wir sind jetzt eine Familie. Ich will nicht, dass man erfährt, dass ich Ihnen den Tipp gegeben habe.«
Ich nickte und spürte, wie das Blut in meinen Kopf stieg.
»Frank hatte Verbindung mit Tom Keating, sogar noch als er saß. Wenn jemand weiß, wo er ist, dann der.«
Tom Keating.
Den Namen kannte ich.
Er war ein pensionierter Polizist.
Weniger als eine Stunde später hielten Jacobi und ich vor dem Häuschen 3A der Blakesly Residential Community, an der Küste bei der Half Moon Bay.
Keatings Name war mir noch aus meiner Kinderzeit bekannt. Er war ein Stammgast im »Alibi« gewesen, nach der Neun-bis-vier-Schicht, wo mein Vater mich oft nachmittags auf einen Barhocker gesetzt hatte. In meiner Erinnerung hatte Keating ein rötliches Gesicht und einen weißen Haarschopf.
O Gott
, dachte ich,
das war beinahe dreißig Jahre her
.
Wir klopften an die Tür von Keatings bescheidenem Häuschen. Eine adrette, nett aussehende Frau mit grauem Haar öffnete.
»Mrs Keating? Ich bin Lieutenant Lindsay Boxer von der San Francisco Mordkommission. Das ist Inspector Jacobi. Ist Ihr Mann zu Hause?«
»Mordkommission?«, sagte sie verblüfft.
»Nur ein alter Fall«, erklärte ich lächelnd.
Von drinnen ertönte eine Stimme. »Helen, ich finde die verdammte Fernbedienung nicht.«
»Eine Minute, Tom. Er ist hinten«, sagte sie und bat uns herein.
Wir gingen durch das einfach eingerichtete Haus in einen Wintergarten vor einer kleinen Terrasse. An der Wand hingen mehrere gerahmte Polizeifotos. Keating sah so aus wie in meiner Erinnerung – nur dreißig Jahre älter. Hager, der weiße Haarschopf etwas dünner, aber immer noch die rötliche Gesichtshaut.
Er saß da und schaute im Fernsehen eine nachmittägliche Nachrichtensendung an, wo gerade die Börsenkurse unten auf einem Band durchliefen. Dann sah ich, dass er im Rollstuhl saß.
Helen Keating machte uns bekannt, fand die Fernbedienung und stellte den Ton leiser. Keating schien sich zu freuen, Besuch von der Polizei zu haben.
»Seit meine Beine schlecht geworden sind, komme ich nicht mehr zu vielen Veranstaltungen. Arthritis, behaupten die Ärzte. Verursacht durch eine Kugel in Lumbar vier. Golf kann ich nicht mehr spielen.« Er lachte. »Aber ich kann zuschauen, wie meine Pension wächst.«
Er studierte mein Gesicht. »Sie sind Marty Boxers kleines Mädchen, richtig?«
Ich lächelte. »Das Alibi… ein paar Fünf-Null-Eins, richtig, Tom?« Ein 5-0-1 war der Funkspruch nach Verstärkung, und so nannten sie damals ihr Lieblingsgetränk: Irischen Whiskey und ein Bier zum Nachspülen.
»Ich habe gehört, dass Sie jetzt eine wichtige Position haben«, sagte Keating und lächelte übers ganze Gesicht. »Und was führt euch Leutchen zu einem alten Streifenbullen?«
»Frank Coombs«, sagte ich.
Unvermittelt wurden Keatings Züge hart. »Was ist mit Frank?«
»Wir suchen ihn, Tom. Man hat uns gesagt, Sie wüssten
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