Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
Augenblick, da ich versuchte, die Melodie nachzuahmen, die ich inzwischen auswendig kannte, wirbelte Dick zu mir herum. Wut funkelte in seinen kleinen Augen.
»Mir!«, brüllte er. »Mein Lied! Lied meiner Mama!« Mordlust glühte in seinen Augen, als er auf mich zukam. Er hob die Flöte wie ein Messer, das er mir ins Herz rammen wollte.
»Es tut mir leid, Dick. Ich habe nicht gewusst, dass es nur für dich ist.« Aber ich hätte es wissen müssen, wurde mir plötzlich klar. Ich wich vor ihm zurück. Sein Leib war dick und die Gliedmaßen kurz und linkisch. Ich wusste, dass ich ihm körperlich weit genug überlegen war, um ihn niederzuringen, und ich wusste auch, dass ich ihn dann verletzen müsste, denn nur so würde ich ihn aufhalten können. Das wollte ich aber nicht. Ich brauchte seinen guten Willen. Rasch sprang ich hinter den Tisch.
»Mein Lied!«, wiederholte Dick. »Stinkepupshunddieb!«
Unfreiwillig brach der Prinz in Lachen aus. Ich glaube, er war entsetzt und fasziniert zugleich davon, wie der Schwachkopf mich wegen eines Lieds angriff. Dann legte er plötzlich die Stirn in Falten. Noch während ich um den Tisch kreiste, um ihn zwischen mir und Dick zu halten, und überlegte, wie ich den Schwachkopf wieder beruhigen konnte, rief der Prinz: »Ich kenne dieses Lied!« Er summte ein kurzes Stück davon, und Dicks Gesicht verfinsterte sich noch mehr. »Das ist das Erste, was ich jedes Mal höre, wenn ich die Gabe einsetze. Das kommt von dir?« Er klang ungläubig.
»Mein Lied!«, erklärte Dick erneut. »Lied meiner Mama! Du kannst es nicht hören. Nur ich!« Er drehte sich und stürmte plötzlich auf den Prinzen los. Im Laufen schnappte er sich die Brandweinflasche und hob sie wie eine Keule, ohne auf die Flüssigkeit zu achten, die ihm den Arm hinunterrann. Der Prinz riss die Augen weit auf, doch er war dummerweise viel zu stolz, als dass er sich vor Dicks wildem Angriff zurückgezogen hätte. Stattdessen nahm er die Kampfhaltung ein, die ich ihm beigebracht hatte. Seine Hand ging zum Messer an seinem Gürtel. Als Reaktion darauf fühlte ich Dicks betäubendes, Du siehst mich nicht, du siehst mich nicht, du siehst mich nicht, während er immer weiter gegen den Prinzen vorrückte. Ich sah, wie Pflichtgetreu gegen die Gabe des kleinen Mannes ankämpfte, und fühlte, wie er einen Schlag vorbereitete, um durch den geistigen Befehl hindurchzustoßen.
»Nein!«, brüllte ich entsetzt. »Verletzt einander nicht!«
Mein Befehl war wie eine Klinge, deren Schneide von der Gabe schimmerte. Ich sah, wie beide zusammenzuckten, sah, wie beide zu mir herum wirbelten, die Arme gehoben, als könnten sie so die Magie abwehren. Fast konnte ich sogar sehen, wie sie von ihnen abprallte, doch kurz machte es sie benommen. Durch die Folgen meines Befehls, den sie instinktiv gegen mich zurückschleuderten, drehte sich auch mein Kopf, doch ich erholte mich schneller als sie. Der Prinz taumelte einen Schritt zurück, während Dick die fleischigen Hände vor die Augen hob. Was ich getan hatte, entsetzte mich; doch als sie einen Augenblick lang vollkommen still und unterwürfig dastanden, fügte ich hinzu: »Das reicht. Ihr dürft einander nie auf diese Art angreifen … nicht wenn ihr zusammenarbeiten wollt, um die Gabe zu meistern.« Es erfüllte mich mit Stolz, dass meine Stimme nicht zitterte.
Pflichtgetreu schüttelte den Kopf und sagte dann in benommenem Tonfall: »Du hast es wieder getan! Du hast es gewagt, die Gabe gegen mich zu gebrauchen!«
»Das habe ich«, gab ich zu und verlangte dann zu wissen: »Was hätte ich denn sonst tun sollen? Hätte ich zusehen sollen, wie ihr euch gegenseitig den Verstand aus den Köpfen prügelt? Hast du je Vetter Augustin kennen gelernt, Pflichtgetreu? Diesen sabbernden, alten Mann? Was ihm widerfahren ist, war ein Unfall, doch es hat schon viele Gabennutzer gegeben, die sich in solchen Kämpfen verstümmelt haben, wie ihr ihn gerade austragen wolltet. Ja, es ist sogar zu Todesfällen gekommen – zu Todesfällen, die jene, die sie verursacht haben, fast ebenso sehr geschädigt haben wie jene, die gestorben sind.«
Pflichtgetreu lehnte sich gegen den Tisch. Dick nahm langsam wieder die Hände von den Augen. Er hatte sich auf die Zunge gebissen; sie blutete. Pflichtgetreu sprach zu uns beiden. »Ich bin euer Prinz. Ihr seid durch Eide an mich gebunden. Wie könnt ihr es wagen, mich anzugreifen?«
Ich atmete tief durch und trat widerwillig die Aufgabe an, die Chade mir übertragen
Weitere Kostenlose Bücher