Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
schob, sie einen Spalt weit öffnete und eine kleine, versiegelte Schriftrolle entgegen nahm. Während ich ihn dabei beobachtete, dachte ich säuerlich: Was auch immer Gabenmeister Galen gewesen sein mochte, in einigen Belangen hatte er Recht gehabt. Keiner seiner Schüler hätte es je gewagt, einen anderen anzugreifen, ganz zu schweigen davon, dass er Galens Autorität in Frage gestellt hätte. Galen hatte all seine Schüler sofort und mit aller Härte auf eine Stufe gestellt – nur ich war die Ausnahme dieser Regel gewesen; alle hatten sie gewusst, dass er mich als weit unter ihnen stehend betrachtete. So sehr mich das auch anwiderte, ich musste mir zumindest einen Teil seiner Verhaltensweisen aneignen, auch wenn ich seine härteren Techniken natürlich ablehnte. Disziplin ist nicht das Gleiche wie Strafe, dachte ich und erkannte diesen Gedanken als etwas, das Burrich mir immer gesagt hatte.
    Der Prinz hatte die Tür wieder geschlossen und kratzte nun das Siegelwachs von der Schriftrolle. Dann runzelte er die Stirn, als er feststellte, dass sich in der ersten eine zweite, versiegelte Schriftrolle verbarg. »Ich glaube, die ist für dich«, sagte er nervös. In einer Schrift, die ich nie als Chades erkannt hätte, war das Wort ›Lehrer‹ auf die Außenseite der zweiten Schriftrolle geschrieben. Als ich mein eigenes Symbol, den vorstürmenden Weitseherbock, auf dem Siegel erkannte, nahm ich Pflichtgetreu das Schriftstück aus der Hand.
    »Das stimmt wohl«, pflichtete ich ihm bei. Ich wandte mich von ihm ab, brach das Siegel und las den einzigen Satz. Dann warf ich die Nachricht ins Feuer.
    »Was stand da drin?«, verlangte der Prinz zu wissen.
    »Ich werde gerufen«, antwortete ich ihm knapp. »Ich muss jetzt gehen; aber ich erwarte dich morgen hier wieder zu sehen – lernwillig. Guten Tag, mein Prinz.«
    Sein verblüfftes Schweigen folgte mir, als ich mich durch die schmale Tür im Kamin quetschte. Einmal in den engen Gängen lief ich so schnell ich konnte. In Gedanken verfluchte ich die niedrige Decke, die Ecken, um die ich mich herumzwängen musste, und das Labyrinth, das mich mal hierhin, mal dorthin führte, wo ich doch auf direktem Weg zu meinem Ziel gehen wollte.
    Als ich das Guckloch vor dem privaten Empfangsraum der Königin erreichte, war mein Mund wie ausgetrocknet, und ich schnappte nach Luft wie ein Hund. Ich atmete mehrmals tief durch, zwang mich ruhig dazustehen, bis ich mich wieder ein wenig erholt hatte. Dann warf ich mich auf den kleinen Hocker und drückte mein Auge an das Guckloch. Ich war spät dran. Chade und Königin Kettricken waren bereits da; die Königin saß, und ihr Ratgeber stand an ihrer Seite, beide mit dem Rücken zu mir. Ein schlaksiger Junge von vielleicht zehn Jahren stand vor ihnen. Seine schwarzen Locken klebten verschwitzt an seiner Stirn, und vom Saum seines Mantels tropfte schlammiges Schneewasser auf den Boden. Die flachen Schuhe, die er trug, waren nie für Reisen im Winter bestimmt gewesen. Auch an seiner Hose hingen noch Schneeklumpen. Wo auch immer er hergekommen sein mochte, er musste die ganze Nacht durchmarschiert sein. Seine dunklen Augen waren riesengroß, doch fest erwiderte er den Blick der Königin. »Ich verstehe«, sagte Kettricken leise.
    Ihre Antwort schien dem Jungen Mut zu machen. Ich wünschte, ich hätte das gesamte Gespräch mit angehört. »Ja, Ma'am«, stimmte er ihr zu. »Nachdem ich also gehört habe, dass Ihr nicht länger tolerieren wollt, was mit den Zwiehaften geschieht, bin ich zu Euch gekommen. Vielleicht kann ich hier in Bocksburg einfach der sein, der ich bin, anstatt ständig dafür geschlagen zu werden. Ich verspreche, dass ich meine Fähigkeiten nie zu etwas Schlechtem einsetzen werde. Ich will den Weitsehern die Treue schwören und alles tun, was Ihr von mir verlangt.« Sein Blick war nicht kühn, aber ehrlich: der offene Blick eines Jungen, der fest davon überzeugt war, dass er den richtigen Weg gewählt hatte. Ich starrte auf Burrichs Sohn und sah Molly in den Wangen und Wimpern des Jungen.
    »Und dein Vater hat dem zugestimmt?«, fragte Chade ernst, aber sanft.
    Der Junge wandte den Blick ab. Leise antwortete er: »Mein Vater weiß nichts davon, Herr. Als ich erkannt habe, dass ich es nicht länger ertragen konnte, bin ich einfach gegangen. Niemand wird mich vermissen. Ihr habt unser Heim gesehen. Er hat noch andere Söhne, gute Söhne, die nicht zwiehaft sind.«
    »Das heißt nicht, dass er dich nicht vermissen wird,

Weitere Kostenlose Bücher