Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
je weniger ich davon wusste, desto besser.
Unsere unmittelbar bevorstehende Abreise reichte vollends aus, um mich zu beschäftigen, und doch gestattet einem das Leben niemals, sich ausschließlich auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Pflichtgetreu, Gentil und Web hielten abends überdies Unterricht in Sitten und Geschichte des Alten Blutes ab. Die Unterrichtsstunden fanden vor einem Kamin in der Großen Halle statt, und Web verkündete, dass jeder daran teilnehmen könne, der wolle. Die Königin selbst war bei mehreren Gelegenheiten anwesend. Zuerst war Webs ›Unterricht‹ nur spärlich besucht, und von denen, die kamen, zeigten viele offen ihre Missbilligung. Doch Web war ein meisterhafter Geschichtenerzähler, und viele seiner Geschichten waren für die Bewohner von Bocksburg neu. Rasch fand er eine aufmerksame Zuhörerschaft, besonders unter den Kindern der Burg, und es dauerte nicht lange, da setzten sich jene, die vorgeblich mit Spinnen oder Pfeilmachen beschäftigt waren, in Hörweite von Web. Ich weiß nicht, ob das viele davon überzeugte, dass man sich nicht vor dem Alten Blut fürchten musste, aber zumindest lernten sie viel darüber, wie diese Menschen lebten und dachten.
Web hatte auch noch einen Schüler in diesen Stunden, einen, von dem ich geglaubt hatte, ich würde ihn nie in der Burg sehen. Inzwischen hatte sich weit herumgesprochen, dass Königin Kettricken Zwiehafte in Bocksburg willkommen hieß. Nur wenige waren ihrem Ruf gefolgt, jedenfalls soweit in der Öffentlichkeit bekannt war. Die Schwierigkeit war offensichtlich. Wie sollte jemand ihr seinen Sohn oder seine Tochter als Diener anbieten, ohne damit zu enthüllen, dass die gesamte Familie zum Alten Blut gehörte? Hier bei Hofe mochte die Königin ja in der Lage sein, das Kind zu beschützen, aber was war mit der Familie daheim? Lord Brant, ein niederer Adeliger aus den Bocksmarken, hatte ihr seinen zehnjährigen Sohn und einzigen Erben gebracht. Er hatte ihn der Königin als vom Alten Blut präsentiert, aber behauptet, er hätte die Magie von seiner Mutter geerbt, die vor sechs Jahren gestorben sei und kaum noch lebende Verwandte habe. Die Königin hatte den Jungen auf Brants Wort hin akzeptiert. Ich verdächtigte auch eine Näherin der Alten Macht, die vor kurzem nach Bocksburg gekommen war, doch wenn sie ihre Zwiehaftigkeit nicht offen zeigen wollte, würde ich sie auch nicht danach fragen.
Der anderen neue Page der Königin war kein anderer als Flink. Er war allein und zu Fuß gekommen, mit neuen Schuhen und Kleidern, und hatte einen Brief von Burrich dabei gehabt. Ich hatte von meinem üblichen Beobachtungsposten aus beobachtet, wie er ihn der Königin übergeben hatte. Der Brief übergab den Jungen an die Weitseher, nachdem – so hieß es in dem Brief – Burrich sein Bestes getan hatte, es ihm aber nicht gelungen war, den Jungen von seinem Weg abzubringen. Wenn er seine Magie schon nicht aufgeben wollte, sollte er sie eben annehmen. Sein Vater war fertig mit ihm. Er konnte es sich nicht leisten, den Jungen bei seinen jüngeren Brüdern zu lassen. Auch stand in dem Brief, dass bei Hofe nicht bekannt gemacht werden solle, dass Flink Burrichs Sohn sei. Als Königin Kettricken den Jungen daraufhin fragte, als was er denn bekannt sein wolle, hob Flink das blasse Gesicht und antwortete ruhig, aber entschlossen: »Als zwiehaft. Das ist, was ich bin, und das werde ich nicht länger leugnen.«
»Flink der Zwiehafte also«, erwiderte Kettricken mit einem Lächeln. »Ich denke, dieser Name passt gut zu dir. Ich werde dich jetzt meinem Ratgeber Chade übergeben. Er wird eine angemessene Arbeit für dich finden und auch für deinen Unterricht sorgen.«
Der Junge hatte leise geseufzt und sich dann tief verneigt. Offensichtlich war er erleichtert darüber, dass die Tortur der königlichen Audienz endlich vorüber war. Steif, aber aufrecht war er daraufhin rausmarschiert.
Dass Burrich den Jungen einfach verstoßen hatte, erschütterte mich bis tief in meine Seele, doch ich war gleichzeitig erleichtert. Wäre Flink in seinem Haus geblieben, hätten sie sich weiter über die Alte Macht gestritten. Das hätte Leid und Elend für die ganze Familie bedeutet. Ich vermutete, dass Burrich die Entscheidung ausgesprochen schwer gefallen war, und vermutlich hatte er eine ganze Nacht lang wach gelegen und sich gefragt, wie Molly wohl über seine Entscheidung denken und ob sie beim Abschied ihres Sohns weinen würde. Ich war stark versucht, zu Nessel
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