Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
anstatt sie zu quälen und zu vernachlässigen, wie ich es getan hatte. So bin ich in jener Nacht in ihre Kammer gegangen. Allein. Sie hatte Angst vor mir, und ihr Raum war kalt und fast vollkommen leer; das Bettzeug war für Gott weiß wie lange nicht mehr gewaschen worden. Sie war aus ihrem Nachtgewand herausgewachsen; es war an den Schultern zerrissen und viel zu kurz für sie. Sie rollte sich auf dem Bett zusammen, so weit wie möglich von mir weg, und starrte mich einfach nur an. Dann fragte ich sie, was sie vorziehen würde: Prinzessin Philia überantwortet zu werden oder mein Page zu bleiben?«
»Und sie hat sich dafür entschieden, dein Page zu bleiben.«
»Sie ist in Tränen ausgebrochen, hat sich auf den Boden geworfen und an meinen Rock geklammert, sie hatte gedacht, ich könne sie nicht mehr leiden. Sie schluchzte herzzerreißend, ihr Haar klebte verschwitzt auf ihrem Kopf, und sie zitterte am ganzen Leib, bevor ich sie beruhigen konnte. Fitz, ich habe mich für meine Grausamkeiten so sehr geschämt. Es war nicht so sehr das, was ich getan, sondern das, was ich nicht getan hatte – ich hatte sie schlicht ignoriert. Nur Chade und ich wussten davon, dass sie wahrscheinlich hinter einem Mordanschlag auf mich steckte. Aber durch meine Verachtung, mit der ich dem Mädchen begegnet bin, hatte ich den anderen Bewohnern der Burg praktisch die Erlaubnis dazu gegeben, grausam zu ihr zu sein und sie zu misshandeln. Ihre kleinen Schuhe waren nur noch ein Haufen Fetzen …« Kettrickens Stimme verhallte, und wider besseres Wissen empfand ich Mitleid für Rosmarin. Kettricken atmete tief durch und fuhr mit ihrer Geschichte fort. »Sie bettelte mich an, ich solle sie wieder in meinen Dienst aufnehmen. Sie war noch nicht einmal sieben Jahre alt, als sie Edels Befehlen folgte. Sie hat mich nie gehasst oder auch nur verstanden, was sie getan hat. Für sie war es nur ein Spiel: Sie belauschte mich im Geheimen und wiederholte einfach alles, was sie gehört hatte …«
»… und sie seifte die Stufen ein, damit du stürzt?« Ich versuchte, pragmatisch und hart zu bleiben.
»War ihr denn überhaupt bewusst, dass sie mir damit Schaden zufügte? Oder hat ihr schlicht jemand gesagt, sie solle die Stufen einschmieren, nachdem ich zum Dachgarten hochgegangen war? Einem Kind musste das wie ein simpler Streich erscheinen.«
»Hast du sie gefragt?«
Eine Pause. »Manche Dinge lässt man lieber unausgesprochen. Selbst wenn sie wusste, dass ich stürzen würde, bezweifele ich, dass sie das volle Ausmaß der möglichen Folgen begriff. Ich glaube, ich war zweierlei für sie: die Frau, die Edel zu Fall bringen wollte, und Kettricken, der sie jeden Tag diente – zwei Menschen in einer Person. Der, dem man die Schuld für ihr Verhalten geben kann, ist tot. Seitdem ich sie an meine Seite zurückgeholt habe, war sie mir stets eine treue Dienerin.« Sie seufzte und blickte an mir vorbei zur Wand, als sie sagte: »Die Vergangenheit muss vergangen bleiben, Fitz. Das trifft besonders auf jene zu, die regieren. Ich muss meinen Sohn mit der Tochter eines Outislanders verheiraten. Ich muss den Handel und die Verbindung mit einem Volk fördern, das meinen König zum Tod verdammt hat. Soll ich mir da den Kopf über eine kleine Spionin zerbrechen, die ich in eine meiner Hofdamen verwandelt habe?«
Ich atmete tief durch. Wenn sie ihre Entscheidung in den letzten fünfzehn Jahren nicht bereut hatte, würden meine Worte jetzt auch nichts dran ändern. Vielleicht war das auch besser so. »Nun. Ich nehme an, ich hätte damit rechnen sollen. Du hast ja auch nicht gezögert, einen Assassinen zu deinem Ratgeber zu machen, als du gerade erst an den Hof gekommen warst.«
»Er war der erste Freund, den ich hier hatte«, wies sie mich ernst zurecht. Dann runzelte sie die Stirn. »Diese Scharade hier macht mich nicht gerade glücklich. Ich hätte dich gerne an meiner Seite, damit du mir mit deinem Rat beistehen und meinen Sohn unterrichten kannst. Ich würde dich gerne als Freund und als Weitseher ehren.«
»Das ist unmöglich«, erklärte ich fest überzeugt. »Es ist auch besser so. In dieser Rolle bin ich dir von größerem Nutzen, und so stelle ich auch keine Gefahr für dich oder den Prinz dar.«
»Aber das Risiko für dich ist größer. Chade hat mir erzählt, dass die Gescheckten dich gerade erst vor den Toren von Burgstadt bedroht haben.«
Ich hatte nicht gewollt, dass sie davon erfuhr. »Darum kümmere ich mich besser selber. Vielleicht kann
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