Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
Arme aus, um sie zu fangen, doch die Schmetterlinge in ihrem Kleid begannen alle zugleich zu flattern, und sie schwebte herab wie eine Feder. Sie trug einen großen gelben Schmetterling im Haar wie eine Schleife. Langsam bewegte er die Flügel, und die Farbe ihres Kleides veränderte sich, als die anderen Schmetterlinge es ihm gleichtaten.
»Iiih. Kitzeln all die kleinen Beinchen nicht?«, wunderte ich mich.
»Nein. Es ist ein Traum, erinnerst du dich? Die unangenehmen Sachen kann man aussperren.«
»Du hast nie Albträume, oder?«, fragte ich bewundernd.
»Doch, früher, als ich noch sehr klein war; jetzt aber nicht mehr. Warum sollte jemand in einem Traum bleiben, der ihm nicht gefällt?«
»Nicht jeder von uns kann seine Träume so beherrschen wie du, Kind. Du solltest das als Segen betrachten.«
»Hast du Albträume?«
»Manchmal. Erinnerst du dich nicht mehr daran, wo du mich das letzte Mal gefunden hast? An diesem Steilhang?«
»Oh. Ja, daran erinnere ich mich. Aber ich dachte, das wäre etwas, was du gerne tust. Manche Menschen mögen gefährliche Dinge, weißt du?«
»Vielleicht. Aber manche von uns haben auch genug davon und würden Albträume meiden, wenn es denn irgend möglich wäre.«
Nessel nickte bedächtig. »Meine Mutter hat manchmal schreckliche Albträume. Selbst wenn ich in sie hineingehe und ihr sage, sie soll wieder herauskommen, tut sie das nicht. Entweder will oder kann sie mich nicht sehen. Und mein Vater ... Ich weiß, dass er träumt, denn manchmal schreit er laut; aber ich finde einfach keinen Weg in sie hinein. « Sie hielt einen Augenblick lang inne, um nachzudenken. »Ich glaube, das ist auch der Grund, warum er wieder mit dem Trinken begonnen hat. Wenn er betrunken ist, verliert er schlicht das Bewusstsein, anstatt einzuschlafen. Glaubst du, dass er sich vor seinen Albträumen versteckt?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich und wünschte, sie würde mir diese Dinge nicht erzählen. »Ich bringe dir allerdings eine Nachricht, die es für euch beide leichter machen sollte. Flink ist auf dem Weg nach Hause.«
Nessel klatschte in die Hände und atmete tief durch. »Oh, danke, Schattenwolf. Ich wusste, dass du mir würdest helfen können.«
Ich versuchte, streng zu klingen. »Ich hätte dir gar nicht erst helfen müssen, wenn du im Vorfeld deinen gesunden Menschenverstand benutzt hättest. Flink ist noch viel zu jung, um allein zurecht zu kommen. Du hättest ihm nicht helfen dürfen.«
»Das weiß ich jetzt auch, damals aber nicht. Warum kann das echte Leben nicht wie Träume sein? Wenn in einem Traum irgendetwas schiefgeht, kannst du es einfach ändern.« Sie strich die Vorderseite ihres Kleides glatt. Plötzlich trug sie ein Kleid aus Mohnblüten. »Siehst du? Keine kleinen Beinchen mehr. Man muss den Teilen, die einem nicht gefallen, einfach sagen, sie sollen verschwinden.«
»So wie du den Drachen weggeschickt hast?«
»Den Drachen?«
»Du weißt, wen ich meine. Tintaglia. Der weibliche Drache. Zuerst erscheint sie als kleine Eidechse oder Biene, und dann wird sie immer größer und größer, bis du sie überwältigst.«
»Oh. Die.« Nessel legte die Stirn in Falten. »Die kommt nur, wenn du auch da bist. Ich dachte, sie sei Teil deines Traums.«
»Nein. Tintaglia ist von niemandes Traum ein Teil. Sie ist so real wie du und ich.« Es beunruhigte mich, dass Nessel das nicht wahrgenommen hatte. Hatten unsere Traumgespräche sie einer größeren Gefahr ausgesetzt, als mir bisher bewusst gewesen war?
»Und wer ist sie, wenn sie wach ist?«
»Das habe ich dir gerade gesagt. Sie ist ein Drache.«
»So etwas wie Drachen gibt es nicht«, erklärte Nessel und lachte. Kurz schwieg ich erschrocken.
»Du glaubst nicht an Drachen ? Und wer hat dann die Sechs Provinzen vor den Roten Schiffen gerettet?«
»Soldaten und Seeleute zum größten Teil, nehme ich an. Aber das ist doch ohnehin nicht so wichtig, oder? Das ist jetzt schon so lange her.«
»Für einige von uns ist es sogar sehr wichtig«, murmelte ich, »besonders für jene, die dabei waren.«
»Dessen bin ich sicher. Allerdings ist mir aufgefallen, dass kaum jemand, wenn überhaupt, einen klaren Bericht darüber abgeben kann, was genau die Sechs Provinzen gerettet hat. Es heißt immer nur, sie hätten in der Ferne Drachen gesehen, und das Nächste, woran sie sich erinnern, ist, dass die Roten Schiffe gesunken waren oder zerschellt am Strand lagen. Und die Drachen waren fast außer Sichtweite.«
»Drachen haben
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