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Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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eine seltsame Wirkung auf die Erinnerungen der Menschen«, erklärte ich ihr. »Sie ... Sie scheinen sie zu absorbieren, wenn sie über die Menschen hinweggleiten. Wie ein Tuch, mit dem man verschüttetes Wasser aufwischt.«
    Nessel grinste mich an. »Wenn das wahr ist, warum hat Tintaglia dann nicht diese Wirkung auf uns? Wie kommt es, dass ich mich daran erinnern kann, dass sie in unseren Träumen war?«
    Ich hob warnend die Hand. »Lass uns ihren Namen nicht mehr verwenden. Ich verspüre nicht das Bedürfnis, ihr noch einmal zu begegnen. Und warum wir uns an sie erinnern können? Nun, ich nehme an, das liegt daran, weil sie als Traumwesen zu uns kommt und nicht in Fleisch und Blut. Oder vielleicht liegt es auch daran, dass sie tatsächlich aus Fleisch und Blut ist und nicht...«
    Ich erinnerte mich daran, mit wem ich sprach, und hielt inne. Ich erzählte ihr zu viel. Wenn ich meine Zunge nicht hütete, würde ich ihr bald davon berichten, wie wir mit der Gabe Drachen aus dem Stein der Erinnerung geschaffen hatten, und dass diese Kreaturen die Uralten aus unseren Geschichten und Liedern waren.
    »Sprich weiter«, drängte sie mich. »Wenn Tintaglia nicht aus Fleisch und Blut ist, was sollte sie dann sein? Und warum fragt sie uns immer wieder nach einem schwarzen Drachen? Willst du mir etwa erzählen, dass der auch real ist?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich vorsichtig. »Ich weiß noch nicht einmal, ob er überhaupt existiert. Aber lass uns jetzt nicht darüber sprechen.« Seit ich den Namen Tintaglia erwähnt hatte, war ich zunehmend nervös geworden. Das Wort schien in der Luft zu flimmern wie der verräterische Qualm eines Kochfeuers.
    Aber falls die alten Geschichten über Namensbeschwörungen stimmten, so wurden wir in dieser Nacht zumindest verschont. Ich verabschiedete mich von Nessel. Als ich ihren Traum verließ, betrat ich irgendwie meinen alten Albtraum. Das Geröll auf dem steilen Hang unter meinen Füßen setzte sich in Bewegung. Ich fiel, fiel meinem Tod entgegen. Ich hörte Nessels Ruf, »Verändere es! Mach es zu einem Traum vom Fliegen!«; aber ich wusste nicht, wie ich ihrem Rat hätte folgen sollen. Stattdessen saß ich plötzlich senkrecht auf meiner Pritsche in der Kaserne.
    Der Morgen war nicht mehr fern, und die meisten Betten waren inzwischen belegt. Mir blieb noch immer etwas Zeit zum Schlafen. Ich versuchte es, konnte es aber nicht und stand früher auf als gewohnt. Meine Kameraden rührten sich noch nicht. Ich zog meine neue Uniform an und verbrachte einige Zeit damit, mein Haar davon zu überzeugen, mir nicht ständig ins Gesicht zu fallen. Ich hatte es mir als Zeichen der Trauer um Nachtauges Tod geschoren, und es war noch nicht wieder genug nachgewachsen, um es ordentlich zu einem Kriegerzopf binden zu können. So knotete ich es nur zu einem lächerlichen Stummel zusammen, wohl wissend, dass es sich schon bald wieder daraus lösen und erneut nach vorne fallen würde.
    Ich ging in den Wachraum und genoss das üppige Frühstück, das die Köche uns zubereitet hatten. Ich wusste, dass ich mich damit für einige Zeit vom Landessen verabschiedete, und so nahm ich mir genüsslich Fleisch, frisches Brot und Haferbrei mit Honig und Sahne. Auf dem Schiff würden die Mahlzeiten vom Wetter abhängen; größtenteils erwartete uns aber wohl Gepökeltes und Getrocknetes. Sollte die See zu rau sein und der Koch ein Feuer für zu gefährlich halten, würden wir uns überdies mit kaltem Essen und hartem Brot zufrieden geben müssen. Diese Aussicht stimmte mich nicht gerade fröhlich.
    Ich kehrte in die Kaserne zurück, wo die meisten Männer langsam aufwachten. Ich beobachtete, wie die Soldaten ihre Uniformen anzogen und sich über den schweren Wollmantel an so einem warmen Frühlingstag beschwerten. Chade hatte es nie zugegeben, aber ich vermutete, dass die Hälfte unserer Kompanie nicht nur Gardisten, sondern auch Spione waren. Sie strahlten eine stille Wachsamkeit aus, die mich glauben ließ, dass sie mehr sahen, als es nach außen hin den Anschein hatte.
    Sieber, einer der jüngsten von knapp zwanzig, gehörte allerdings offenkundig nicht dazu. Er war so aufgeregt wie ich abgespannt. Ein Dutzend Mal zog er den Spiegel zu Rate, wobei er seinem neuen Schnurrbart besondere Aufmerksamkeit schenkte. Er war auch derjenige, der darauf bestand, mir Pomade für mein Haar zu leihen; schließlich könne er nicht zulassen, sagte er, dass ich an solch einem wichtigen Tag wie ein zotteliger Bauer aussah.

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