Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
Dutzend Schritte weiter kam ich durch ein Portal in eine gewaltige Eiskammer. Aus dem Eis gehauene Ranken zierten massive Eissäulen, welche die blaue Gewölbedecke trugen. Die Zeit hatte die Feinheiten weggeschmolzen, doch ihre Eleganz war geblieben. Es war eine Halle des Dämmerlichts, ein mondbeschienener Garten aus Eis mit einem eingebetteten Halbmond in der Decke und Lichtkugeln in der Form von Sternenkonstellationen. Die Frauengärten von Bocksburg hätten gut zu diesen Raum gepasst. Er war offensichtlich als Ort der Schönheit und des Friedens gedacht gewesen; doch die unteren Bereiche des Gartens, die fantastisch gestalteten Säulen und die dekorativen Bänke zeigten allesamt Spuren mutwilliger Zerstörung. Es war die Art von Entweihung, die auf blanken Zorn zurückzuführen ist. An einer Eissäule war der Körper eines Drachen zu sehen. Seine Flügel waren jedoch abgebrochen, und der Kopf lag in Stücken auf dem Boden. Der Geruch von altem Urin war stark, und die Säule, an der der Drache lehnte, war gelb, als hätte es den Gewandelten nicht gereicht, das Bild einfach zu zerstören.
Ich durchquerte die Eisgärten und fand eine Wendeltreppe, die nach unten führte. Irgendwann einmal hatte die Treppe sicherlich auch ein Geländer gehabt, das nun fehlte, und mit der Zeit waren die Stufen zu einer tückischen Rutschbahn geschmolzen. Ich stürzte mehrere Mal, krallte mich in die Wände, um meinen Fall zu bremsen, und biss mir auf die Innenseite der Wange, um den Schmerz ertragen zu können. Die Zerstörung der Halle über mir hatte mich daran erinnert, wie tief der Hass der Bleichen Frau ging. Ich fürchtete immer noch, dass sie irgendwo in diesem Eislabyrinth auf mich lauern könnte. Voller blauer Flecken und entmutigt kam ich schließlich unten an. Ich wollte gar nicht erst darüber nachdenken, wie ich wieder dorthinaufkommen sollte.
Ein breiter Gang führte geradewegs in die blaue Ferne. Lichtkugeln in Nischen erhellten ihn in regelmäßigen Abständen. Als ich an ihnen vorüberkam, bemerkte ich die Beine einer Statue in einer dieser Nischen. In einer anderen befand sich der Boden einer Vase. So ging es weiter, bis ich zu dem Schluss kam, dass dies alles einmal so eine Art Galerie gewesen sein musste. Ein einfacher funktioneller Seitengang zweigte von ihr ab, den ich nun betrat. Fast empfand ich so etwas wie Erleichterung, die zerstörte Schönheit endlich hinter mir lassen zu können. Ich folgte dem Gang für lange Zeit.
Langsam ging es bergab. An der nächsten Biegung wandte ich mich nach rechts, denn ich glaubte zu wissen, wo ich war.
Ich irrte mich. Dieser Ort war in der Tat ein Labyrinth aus sich ineinander verschlingenden Eisgängen. Türen fanden sich an einigen Gängen, doch sie waren zugefroren und hatte keine Fenster. An den Abzweigungen brachte ich Markierungen an, fragte mich aber dennoch allmählich, ob ich je wieder herausfinden würde. Ich versuchte stets, den breiteren Weg zu nehmen, der nach Möglichkeit auch noch genutzter aussah, und tatsächlich: Je tiefer ich in die Eisstadt vordrang, desto offensichtlicher wurden diese Spuren. Ich fragte mich, ob die Uralten schlicht akzeptiert hatten, dass das Eis ihre Stadt übernahm, oder ob sie im Fels begonnen und sich dann bis in den Gletscher hinein ausgedehnt hatten. Ich hatte das Gefühl, Gänge und Kammern zu finden, die von der Bleichen Frau und ihren Dienern genutzt worden waren. Die Schönheit und die Eleganz der Uralten ließ ich mehr und mehr hinter mir und stieg in den Dreck und die Zerstörung der Menschen hinab. Ich schämte mich für meinesgleichen.
Die Kammern zeigten nun deutliche Zeichen, dass hier bis vor Kurzem noch Menschen gelebt hatten. Ungeleerte Abfalleimer standen in den Ecken von etwas, was Kasernenunterkünfte hätten sein können, und Schlafdecken lagen in einem Wachraum auf dem Boden inmitten von Müll. Doch ich sah nichts von dem, was Soldaten normalerweise in ihren Schlafräumen liegen hatten: keine Würfel oder Spielsteine, keine Glücksbringer von ihren Geliebten, keine sorgfältig gefalteten Hemden für den Abend in der Taverne. Die Räume zeugten von einem harten, rauen Leben, bar jeder Menschlichkeit. Gewandelt. In mir keimte eine neue Welle des Mitleids für die Männer auf, die Jahre ihres Lebens im Dienst der Bleichen Frau verloren hatten.
Mehr Glück als mein Erinnerungsvermögen führte mich schließlich in ihren Thronsaal. Als ich die Doppeltür sah, drehte sich mir der Magen um. Dort hatte ich den
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