Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
hatte. Ein zweiter Gedanke verdrängte dieses schreckliche Bild. So hatte die Bleiche Frau seinem Leben bestimmt kein Ende bereitet, nachdem sie herausgefunden hatte, dass ich ihr getrotzt und den Drachen geweckt hatte. Das hier hatte sie bereits zuvor getan, um sich zu amüsieren. Vermutlich hatte sie schon mit der langsamen Prozedur begonnen, kaum dass ich diesen Raum verlassen hatte. Dann war die Haut wie ein dreckiges Hemd einfach beiseite geworfen worden. Ich konnte nicht aufhören, sie anzustarren. Ich konnte nicht aufhören, mir vorzustellen, wie langsam er gestorben war. Das war es, was er vorhergesehen hatte. Das war das Ende, vor dem er sich so sehr gefürchtet hatte. Wie viele Mal hatte ich ihm versichert, dass ich mein Leben für seines geben würde? Doch hier kniete ich nun... und lebte...
Einige Zeit später kam ich wieder zu mir. Ich war nicht bewusstlos gewesen, und ich weiß auch nicht, wohin meine Gedanken gewandert waren, nur dass ich das Gefühl hatte, aus vollkommener Dunkelheit wieder zu erwachen. Steif stand ich auf. Ich würde nicht versuchen, diese schaurige Trophäe aus dem Eis zu holen. Das war nicht mein Narr. Sollte es also ruhig für immer dort begraben bleiben. Mit stetig wachsendem Hass auf die Bleiche Frau und zunehmender Trauer wusste ich plötzlich mit vollkommener Sicherheit, wo ich den Leichnam meines Freundes finden würde.
Als ich aufstand, sah ich eine geschwungene graue Linie. Sie befand sich nicht weit von der Stelle, wo die Haut im Boden lag. Ich kniete mich neben sie und wischte den Schnee beiseite. Darunter lag ein blutverschmiertes Bruchstück der hölzernen Hahnenkrone. Ein einzelner Edelstein bildete noch immer das Auge eines Vogels. Ich nahm es a mich. Es gehörte ihm und mir, und ich würde es nicht zurücklassen.
Ich verließ die zerstörte Halle und marschierte durch einen Gang, der so eiskalt war wie mein Herz. In alle Richtungen sahen die Gänge gleich aus, und ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie man mich zu ihr geschleppt hatte, ganz zu schweigen von der Lage meines Verlieses. Allerdings wusste ich nun genau, wohin ich gehen musste. Dazu musste ich aber den Weg zu dem Gang zurückfinden, durch den der Narr und ich hierher gekommen waren.
Ich wusste, dass ich dafür den Rest der Nacht brauchte. Trotz zunehmender Müdigkeit wanderte ich immer weiter. Die Kälte nagte an mir, und meine Ohren schmerzten von eingebildeten Geräuschen. Nirgends sah ich auch nur die Spur eines Lebewesens. Schließlich taten mir auch die Augen weh, weil ich sie so lange offen gehalten hatte. Ich beschloss, mich auszuruhen. Ich stellte meinen Rucksack in die Ecke eines kleinen Raums, wo man Feuerholz gelagert hatte. Dann setzte ich mich auf den Rucksack, drückte mein Schwert an mich und legte den Kopf auf die Knie. Unruhig döste ich ein, bis Albträume mich weckten und weiter vorantrieben.
Schließlich fand ich ihr Schlafgemach, die gefrorenen Leuchter mit Eiszapfen geschmückt. Hier brannte das Licht hell, und ich konnte die ganze Kammer sehen, die Kleiderschränke aus edlem Holz und den eleganten Tisch mit Spiegeln, Bürsten und ihrem Schmuck an einem Silberbaum. Vielleicht hatte irgendjemand hier geplündert, bevor er geflohen war, denn einer der Schränke stand offen, und Kleider lagen auf dem Boden verstreut. Ich fragte mich, warum die Plunderer sich nicht auch den Schmuck genommen hatten. Die Pelze auf ihrem Bett waren von Frost bedeckt. Ich blieb nicht lange dort. Ich wollte mir die Ketten über ihrem Bett nicht ansehen müssen oder die Blutflecken an der eisigen Wand.
Hinter dem Schlafgemach öffnete sich eine weitere Tür. Ich spähte im Vorübergehen hindurch, blieb dann stehen und ging wieder zurück. Mitten im Raum stand dort ein Tisch, und Regale mit Schriftrollen lehnten an den Wänden. Die Schriftrollen waren ordentlich aufgereiht und gebunden in der Art der Sechs Provinzen. Ich ging hinein. Ich wusste, was ich hier entdeckt hatte, empfand aber seltsamerweise nichts. Ich nahm willkürlich eine Schriftrolle heraus und öffnete sie. Ja, sie stammte von Meister Kniebaum und beschäftigte sich mit den Verhaltensregeln von Gabenkandidaten in der Ausbildung. Ich ließ sie auf den Boden fallen und zog eine andere heraus. Diese war neuer, und ich erkannte Solizitas geschwungene Handschrift. Die Worte wanden sich vor meinen mit Tränen gefüllten Augen, und ich ließ auch diese Rolle fallen. Dann schaute ich mich in dem Raum um. Hier war also die verloren geglaubte
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