Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
Gabenbibliothek von Bocksburg, die Edel zur Finanzierung seines luxuriösen Lebensstils in Fierant verkauft hatte. Händler, die der Bleichen Frau und Kebal Raubart als Agenten dienten, hatten vom jüngsten Prinzen das Wissen über die Weitsehermagie gekauft. Unser Erbe war nach Norden gelangt, zu den Outislandern, und schlussendlich in diesem Raum gelandet. Hier hatte die Bleiche Frau gelernt, wie sie unsere eigene Magie gegen uns einsetzen konnte, und hier hatte sie die Erschaffung eines Steindrachen studiert. Chade hätte sein Augenlicht für einen einzigen Nachmittag in diesem Raum gegeben. Es war eine Schatzkammer verlorenen Wissens. Nur, was ich mir am meisten wünschte, konnte ich mir damit nicht erkaufen: die Chance, es anders zu machen. Ich schüttelte den Kopf, drehte mich um und ließ die Schriftrollen, wo sie waren.
Schließlich fand ich die Verliese, in denen man Mutter und Schwester der Narcheska gefangen gehalten hatte. Peottre hatte die Türen offen gelassen, als er die Frauen geholt hatte. Im nächsten Verlies bot sich mir ein weit schaurigerer Anblick. Drei Tote lagen darin. Ich fragte mich, ob sie als Gewandelte gestorben waren und sich gegenseitig zerfleischt hatten oder ob sie nach dem Tod des Drachen wieder zu sich selbst gefunden hatten und bei vollem Bewusstsein erfroren und verhungert waren.
Die Tür der Zelle, in der Sieber und Hest gewesen waren, stand ebenfalls offen. Hests ausgeplunderter Leib lag mit dem Gesicht nach oben auf dem Boden. Ich zwang mich, ihn anzuschauen. Kälte und Tod hatten seine Haut gedunkelt, doch ich sah noch immer den jungen Mann, den ich gekannt hatte. Nach kurzem Zögern bückte ich mich und packte ihn an den Schultern. Es war schwer, aber es gelang mir, seinen Leib vom Boden loszureißen. Das war keine angenehme Arbeit. Schließlich schleifte ich ihn in Oerttres Zelle und legte ihn dort auf das Bett. Dann sammelte ich aus dieser Zelle und aus der ihrer Tochter alles Brennbare, schüttete es um seinen Leichnam auf und opferte dann die Hälfte des Öls, das ich eigentlich für die Leiche des Narren mitgenommen hatte. Es dauerte einige Zeit, bis das Stroh Feuer gefangen hatte. Doch als es so weit war, leckten die Flammen gierig und kletterten über Stroh und Holz. Ich wartete, bis ein Vorhang aus Feuer Hests Leib einhüllte. Dann schnitt ich eine Locke aus meinem Haar und warf sie auf den Scheiterhaufen, wie es in den Sechs Provinzen üblich ist, wenn man sich von einem Kameraden verabschieden muss. »Du bist nicht umsonst gestorben, Hest, nicht umsonst«, sagte ich ihm, und doch fragte ich mich, was wir wirklich erreicht hatten. Erst die kommenden Jahre würden uns das zeigen, und ich war noch nicht bereit, die Befreiung eines Drachen als Segen für die Menschheit zu betrachten.
Nun blieb nur noch die letzte Zelle. Natürlich. Das musste ihre letzte Demütigung gewesen sein, ihr letzter Spott und ihr letzter Triumph. In einem Raum voller Fäkalien und Müll, neben einem Haufen von Dreck und Schmutz, fand ich meinen Freund.
Er hatte noch gelebt, als sie ihn hier hineingeworfen hatten. Die Bleiche Frau hatte sicherlich gewollt, dass er sich der Demütigung bewusst war. Er war in die Ecke des Raums gekrochen. Dort, in ein schmutziges Stück Sackleinen gehüllt, war er gestorben. Mein Narr war solch ein sauberer Mensch gewesen, dass ich nicht daran zweifelte, dass dieser Dreck eine zusätzliche Folter für ihn dargestellt hatte. Ich weiß nicht, ob irgendjemand das Sackleinen über ihn geworfen hatte oder ob er es sich selbst geholt hatte, bevor er zusammengerollt auf dem eisigen Boden gestorben war. Vielleicht hatte ihn jemand darin eingewickelt, um ihn besser über den Grund schleifen zu können. Blut und andere Körperflüssigkeiten hatten den groben Stoff durchtränkt und ihn an dem ausgemergelten Körper festfrieren lassen. Der Narr hatte die Knie angezogen und das Kinn auf die Brust gedrückt, und sein Gesicht war zu einer Maske des Schmerzes verzerrt. Sein schimmerndes Haar war offen und zerzaust, Blut klebte darin.
Ich legte die Hand auf seine kalte Stirn. Ich hatte nicht gewusst, dass ich es tun würde, bis ich es tat. Mit all der Gabe, die ich aufbringen konnte, griff ich hinaus und suchte nach ihm. Ich fand nur Stille. Ich legte beide Hände auf seine Wangen und erzwang mir einen Weg hinein. Ich erkundete seinen Leichnam und bahnte mir einen Weg durch Bahnen, in denen einst das Leben geflossen war. Ich versuchte, seinen Körper zu heilen, ihn wieder zum
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