Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
messerscharfe Sarkasmus und die Stimme, die seiner so ähnelte, ließen mein Herz einen Schlag lang aussetzen. Wieder schloss ich die Gabenmauern, fühlte aber keinen Angriff gegen sie. Mit gefletschten Zähnen drehte ich mich um, um ihr entgegenzutreten. Sie stand in der Tür ihres Schlafgemachs. Sie trug einen Hermelinmantel, weißes Fell durchsetzt mit einem Muster aus schwarzen Schwänzen. Er hing von ihren Schultern bis zum Boden und bedeckte ihren ganzen Körper. Trotz der Pracht ihres Gewandes sah sie ausgemergelt aus. Ihr perfektes Gesicht war eingefallen und ihr bleiches Haar ungekämmt, glanzlos und starr wie trockenes Stroh. Ihre farblosen Augen wirkten fast matt, wie die Augen eines an den Strand gespülten Fisches.
Ich stand vor ihr und drückte den Leib des Narren an meine Brust. Ich wusste, dass er tot war, dass sie ihm nicht mehr länger wehtun konnte, und doch wich ich vor ihr zurück, als müsse ich ihn noch immer vor ihr beschützen. Als hätte ich ihn je vor ihr beschützen
können!
Sie hob das Kinn und entblößte ihren weißen Hals. »Lass das fallen«, schlug sie vor, »und komm und töte mich.«
Lag es daran, dass der Vorschlag von ihr kam, oder warum kam mir mein erster Gedanke nun wie eine schlechte Idee vor? »Nein«, erwiderte ich, und plötzlich wollte ich einfach nur allein sein. Das, was ich in den Armen hielt, war nur für mich allein. Sie, vor allem sie, würde nicht Zeuge meiner Trauer werden. »Geh weg«, sagte ich und bemerkte das tiefe Grollen in meiner Stimme gar nicht.
Sie lachte, ein Laut wie Eiszapfen, die auf Steinen zersplittern. »Geh weg? Ist das alles? Geh weg? Welch kühne Rache FitzChivalric Weitseher doch an mir nimmt! Ah, was werden die Barden doch für Lieder davon singen!
>Und dann stand er da, hielt seinen Geliebten in den Armen und sprach zum Feind: Geh weg!«
Sie lachte, doch da war keine Musik in ihrem Lachen, und als ich nicht reagierte, verstummte sie wieder. Sie starrte mich an, und kurz wirkte sie verwirrt. Sie hatte wirklich geglaubt, sie könnte mich dazu bringen, ihn fallen zu lassen und sie anzugreifen. Sie neigte den Kopf nach vorn, starrte mich weiter an und senkte die Stimme.
»Warte. Ich verstehe. Du hast mein kleines Geschenk für dich noch nicht ausgepackt. Du hast noch nicht alles gesehen, was ich ihm angetan habe. Warte, bis du seine Hände siehst und seine ach so eleganten Finger! Oh, und seine Zähne und seine Zunge, deren Worte dich so oft amüsiert haben! Ich habe das für dich getan, FitzChivalric, damit du es bereust, mich so verächtlich abgewiesen zu haben.« Sie hielt kurz inne. »Jetzt, Fitz. Das ist der Moment, da du versprichst, mich zu töten, wenn ich dir folge.«
Ich hatte tatsächlich vorgehabt, das zu sagen. Jetzt schluckte ich die Worte wieder hinunter. Sie ließ sie nun leer und kindisch klingen. Vielleicht waren diese Worte ja schon immer leer und kindisch gewesen. Ich verlagerte das Gewicht auf meinen Armen, drehte mich um und ging. Meine Gabenmauern waren errichtet und fest geschlossen, doch mein Rücken fühlte sich ungeschützt an, und ich muss zugeben, dass ich versucht war zu rennen. Ich fragte mich selbst, warum ich sie nicht tötete. Die Antwort war fast zu einfach, um wahr zu sein. Ich wollte seinen Körper nicht vor ihr auf den Boden legen, um das zu tun. Mehr noch, ich wollte überhaupt nichts tun, was sie von mir erwartete.
»Er hat nach dir gerufen!«, sang sie hinter mir her. »Ich kann mir vorstellen, er hat geglaubt, kurz vor dem Tod zu stehen. Natürlich stimmte das nicht. Dazu bin ich viel zu geschickt! Aber er hat geglaubt, der Schmerz würde ihn töten, und so hat er nach dir gerufen. >Geliebter! Geliebter !<« Ihre spöttische Imitation seiner Stimme war perfekt. Mir sträubten sich die Nackenhaare, als hätte er aus dem Grab zu mir gesprochen. Trotz meiner Entschlossenheit wurden meine Schritte langsamer. Ich drückte seinen Körper fester an mich und senkte den Kopf ein wenig. Ich hasste es, dass ihre Worte mir die Tränen in die Augen trieben. Ich sollte sie töten.
Warum tötete ich sie nicht?
»Er hat doch dich gemeint, oder? Natürlich hat er das, obwohl du es vielleicht nicht weißt. Ich bezweifele, dass du die Sitten des Volkes kennst, aus dem er stammt; wie sie Namen austauschen, um die lebenslangen Bindungen zu symbolisieren, die sie eingehen. Hast du ihn je bei deinem Namen genannt, um ihm zu zeigen, dass er dir so lieb ist wie dein eigenes Leben? Hast du? Oder warst du zu feige, um es
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