Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
ich auf den Leichnam des Narren hinabblickte. Dann sagte das sommersprossige Mädchen mit zitternder Stimme: »Er ist sehr tot, nicht wahr?«
»Ja, das ist er«, bestätigte der mit der Bullenstimme, fügte aber hinzu: »Ich kann ein Lied dichten, sodass man sich noch in tausend Jahren an ihn erinnert. Das ist die einzige Möglichkeit, wie einfache Sterbliche das Fleisch überdauern können. Gib mir deine Erinnerungen an ihn, und ich werde sofort anfangen.«
Das alte Weib sprach vernünftiger zu mir. »Wenn wir wüssten, wie man den Tod ungeschehen machen kann, wären wir dann, was wir sind? Federn in einer Narrenkappe? Wir können von Glück reden, dass wir noch so viel Leben haben. Es ist eine Schande, dass dein Freund nicht die Gunst eines Drachen besessen hat, sonst wäre vielleicht auch ihm das zuteil geworden.«
»Was seid ihr?«, verlangte ich zu wissen.
»Wir sind die bewahrten Lieder, verstaut, sodass ihr im Winter eures Todes noch einmal unseren Sommer schmecken könnt.« Das war der junge Mann, der sich seiner Bildsprache so sicher war, dass er sie für mich ruinierte.
»Noch jemand?«, flehte ich, als der junge Mann wieder schwieg.
»Wir haben die Gunst der Drachen«, sagte eine ruhige Stimme. Sie hatte bis jetzt noch nicht gesprochen. Die Stimme war wie ein tiefer, ruhiger Teich, heiserer als die Stimmen der meisten anderen Frauen. Ich hörte sie in meinem Geist, während meine eigene Kehle die Worte sprach. »Ich habe am Fluss mit dem schwarzen Sand gelebt, in einer kleinen Stadt mit Namen Junket. Eines Tages wollte ich Wasser aus dem Fluss holen, und dort habe ich den Drachen getroffen. Sie war noch ein junges Ding, kurz vor dem Ende ihres ersten Sommers, und ich war im Frühling meiner Jahre. Oh, sie war grün, von tausendfach verschiedenem Grün, mit Augen wie geschmolzenes Gold. Sie stand im Fluss, und das Wasser rauschte in ihr vorbei. Dann schaute sie mich an, und mein Herz versank im Strudel ihrer Augen, um nie wieder daraus aufzutauchen. Ich musste zu ihr singen; sprechen hätte nicht gereicht. So verzauberte sie mich, und ich sang zu ihr, und ich verzauberte sie im Gegenzug. Ich war ihr Barde, ihr Barde für alle Tage meines Lebens. Und als mein Ende bevorstand, kam sie mit der Gabe zu mir, die nur Drachen geben können. Es war ein Holzsplitter aus dem Schoß eines Drachen ... Weißt du, wovon ich spreche? Kennst du die Wiegen, die sie für die Schlangen spinnen, in denen diese schlafen können, bis sie als Drachen wieder aufwachen? Manchmal überlebt eine dieses Stadium nicht und stirbt im Schlaf zwischen Schlange und Drache. Nur langsam zerfällt das Schoßholz, und die Drachen verbieten den Menschen, es zu berühren, es sei denn mit ihrer Erlaubnis. Doch mir hat meine schöne Rauchschwinge einen Splitter davon gebracht. Sie hat mich gebeten, ihn mit meinem eigenen Blut zu benetzen, es mit meinen Fingern einzureiben und die ganze Zeit über an eine Feder zu denken.
Ich wusste, was diese Gunst bedeutete. Sie wird nur selten gewährt, selbst Barden nicht, die ihren Drachen gut gedient haben. Es bedeutete, dass ich einen Platz in der Krone der Barden bekommen würde, damit meine Lieder, meine Worte und meine Art zu denken noch lange nach meinem Tod weiterleben würden. Die Krone ist das Eigentum des Herrschers aller Flussländer. Der Herrscher allein entscheidet, wer die Krone tragen und mit den Stimmen lange verstorbener Barden singen darf. Es ist eine große Ehre, denn nur ein Drache kann dich erwählen, eine Feder zu werden, und nur der Herrscher kann dir die Gunst gewähren, die Krone tragen zu dürfen. Solch eine Ehre. Ich erinnere mich noch daran, wie ich die Feder im Sterben an die Brust gedrückt habe ... denn gestorben bin ich. Genau wie dein Freund. Es ist eine Schande, dass dein Freund nicht die Gunst der Drachen hatte.«
Die Ironie des Ganzen traf mich wie ein Schlag. »Das sollte er aber. Er ist bei dem Versuch gestorben, einen Drachen zu wecken, den letzten männlichen Drachen der Welt, damit Eisfeuer sich zu seiner Partnerin Tintaglia erheben kann, dem letzten Weibchen, auf dass es wieder Drachen in der Welt gibt.«
Das darauf folgende kurze Schweigen verriet mir, dass ich sie beeindruckt hatte. »Nun, das nenne ich eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden! Gib uns die Erinnerungen daran, und jeder von uns wird ein Lied darüber schreiben, denn solch ein Ereignis hat Dutzende von Liedern verdient!« Es war das alte Weib, das gesprochen hatte, und mir wurde
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