Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
Polsterstühle einander gegenüber aufgestellt. Henja wischte mir das Gesicht ab, trat beiseite und verneigte sich vor ihrer Herrin. Die Bleiche Frau trat näher zu mir heran, blieb aber mehr als eine Armeslänge von mir entfernt. Sie neigte den Kopf zur Seite und musterte mich kalt von Kopf bis Fuß, als wäre ich ein Pferd, das sie kaufen wollte. »Du bist nicht schlecht gebaut«, bemerkte sie. »Hätte deine Familie nicht all die Misshandlungen zugelassen, hättest du durchaus ansehnlich werden können. Nun denn. Sollen wir essen?«
Sie ging zu ihrem Stuhl, den eine der Wachen für sie zurückzog. Ich stand auf und folgte ihr, eine weitere Wache dicht auf den Fersen. Mit einem Wink bedeutete sie mir, mich ihr gegenüberzusetzen. Nachdem ich Platz genommen hatte, hob sie erneut die Hand, woraufhin sich die Wache in meinem Rücken in den Schatten zurückzog. Anschließend erteilte sie noch einen Befehl, und das Licht der Kugeln wurde gedämpft, bis schließlich nur noch der Kerzenschein übrig blieb, der uns in einer Insel aus gelbem Licht sitzen ließ. Das verlieh dem Ganzen den falschen Eindruck von Intimität. Ich wusste ja, dass die Wachen und Dienerinnen ungesehen im Dunkeln warteten und jede unserer Bewegungen beobachteten.
Der Tisch war klein. Die Bleiche Frau schöpfte Suppe auf einen Teller, den sie dann zu mir schob, bevor sie sich bediente. »Damit du nicht glaubst, dass ich dich unter Drogen setzen oder gar vergiften will«, erklärte sie mir, als sie nach dem Löffel griff. »Iss, FitzChivalric. Es wird dir schmecken, und ich weiß, dass du Hunger hast. Im Augenblick will ich dich noch nicht mit langen Reden belästigen.« Ich wartete, bis sie zwei Mund voll gegessen hatte; erst dann nahm auch ich einen Löffel.
Die Suppe war wirklich recht gut, eine helle Cremesuppe mit Wurzelgemüse und zartem Fleisch. Tatsächlich war sie sogar das Beste, was ich seit unserem Aufbruch aus Bocksburg gegessen hatte, und ich hätte sie sicherlich verschlungen, hätten meine Manieren mich nicht davon abgehalten. Meine Selbstbeherrschung schien der einzige Schutz, der mir noch geblieben war, und so zwang ich mich, langsam zu essen, nahm Brot aus dem Korb, den sie mir anbot, und Butter vom Tablett. Die Bleiche Frau schenkte uns Wein ein, und nachdem wir die Suppe gegessen hatten, reichte sie mir zartes Fasanenfleisch. Es war köstlich, und ich genoss das Mahl trotz meiner festen Absicht, ihr gegenüber vorsichtig zu bleiben. Zum Dessert gab es Vanillepudding. Wir aßen ihn, und die ganze Zeit über beobachtete mich die Bleiche Frau stumm und abschätzend. Der Wein sang in meinem Blut und entspannte mich. Ich kämpfte erst dagegen an, doch dann atmete ich tief durch und ergab mich dem Gefühl. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, sich zu wehren.
Die Bleiche Frau lächelte. Hatte sie meine Kapitulation gefühlt? Ich wurde mir ihrer nun deutlicher bewusst. Sie hatte Parfüm aufgelegt und roch nach Narzissen.
Nach dem Essen standen wir auf. Ein Wink der Bleichen Frau rief die unsichtbaren Diener wieder heran. Als sie aus den Schatten traten, um den Tisch wegzuräumen, fachte ein Mann das Feuer in dem Kohlebecken wieder an. Eine weiche, bogenförmige Couch war davorgestellt worden. Die Bleiche Frau ging hinüber, setzte sich und klopfte auf die Kissen neben sich. Ihre Freundlichkeit war entwaffnend. Ihr Essen und ihr Wein hatten meinem Geist die Schärfe genommen. Sie würde versuchen, mir mit unschuldigen Fragen Informationen zu entlocken. Ich konzentrierte mich auf das Wesentliche. Meine Aufgabe würde es sein, wachsam zu bleiben und zu versuchen, möglichst viel aus ihr herauszubekommen, während ich selbst nur wenig preisgab. Sie lächelte mich an, und ich fürchtete schon, dass sie meinen Plan durchschaute. Doch dann schlug sie die Füße unter, wie es auch der Narr zu tun pflegte, und beugte sich zu mir hinüber. Ihre runden Knie deuteten auf mich. »Erinnere ich dich an ihn?«, fragte sie plötzlich.
Mich zu verstellen erschien mir sinnlos. »Ja. Das tust du. Wo ist er?«
»An einem sicheren Ort. Du magst ihn sehr, nicht wahr? Du liebst ihn.« Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, fuhr sie fort: »Natürlich tust du das. Er hat diese Wirkung auf die Menschen, wenn er will. Er ist so faszinierend, so charmant. Fühlst du dich nicht geschmeichelt, wenn er dir anbietet, ihm nahe zu sein? Er tanzt am Rand deines Verständnisses und bietet dir winzige Hinweise darüber, wer er wirklich ist, so wie man einen Hund
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