Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
verloren, denn der Frühling kam in jenem Jahr nicht mehr, und die einst breiten und rasch dahinfließenden Flüsse waren nur noch armselige Rinnsale, die sich durch Ascheberge zum Meer kämpfen mussten. Auch das Wild starb, denn die Wiesen waren unter Asche und Schlacke begraben, und die wenigen Pflanzen, die den anfänglichen Sturm überlebt hatten, waren mager und verstaubt.
Es war eine harte Zeit. Von den überlebenden Drachen sagten einige, sie müssten ihre angestammte Heimat verlassen. Ein paar taten das auch. Doch was aus ihnen geworden ist, weiß niemand, da sie nie wieder zurückkehrten. Der ständige Kampf um Nahrung schwächte viele. Andere starben, als es um das verbliebene Wild zu erbitterten Kämpfen zwischen den Drachen kam. Giftige Asche bedeckte das gesamte, einst fruchtbare Land. Keine Saat ging auf, und nur wenigen Pflanzen gelang es, sich durch die Asche zu kämpfen. Auch die Menschen starben, und selbst die Uralten fielen einem langsamen Tod anheim. Die Herden der Menschen vergingen neben ihren zweibeinigen Hütern. Und die wenigen Städte, die nicht unter Asche begraben waren, standen leer und zerstört, wie geplunderte Nester voller zerbrochener Eier.
Doch selbst dann noch hatte niemand gefürchtet, es könnte das Ende der Drachen sein. Menschen und Uralte mochten ja untergehen, Bäume sterben und Wild verschwinden, aber nicht die Drachen. Fünf Generationen von Schlangen blieben im Meer. Es würde fünf Zeiten der Migration geben und fünf Zeiten der Verpuppung. Die Schlangen würden als Drachen aus ihren Kokons kommen, und das Land würde schließlich wieder heilen müssen. Doch niemand erschien am Strand der Puppen. Eisfeuer hatte auf sie gewartet. Oft war er mit Futter dorthin gegangen, aus Furcht, sie würden keine Drachen finden, die ihnen dabei halfen, aus dem schwarzen Sand des Strands der Puppen und ihrem eigenen Speichel die Kokons zu bauen. Sein Speichel und sein Gift hätten sich mit ihrem mischen sollen, um ihnen seine Erinnerungen zu geben, Erinnerungen, die weit über seine eigene Lebensspanne hinausreichten. Ohne sie wären die neuen Drachen verloren. Nur wenn er ihnen half, würden sie über die vollständigen Erinnerungen des Drachenvolks verfügen, wenn sie in der Hitze des Sommers ihre Kokons verließen.
Doch die Schlangen kamen nie.
Und als Eisfeuer erkannte, dass sie niemals kommen würden, als ihm klar wurde, dass er der Letzte seiner Art war, dachte er darüber nach, wie er enden würde. Nicht in Schande. Er würde sich nicht mit einer Jagdverletzung niederlegen und verhungern und seinen Leib niederen Aasfressern überlassen. Nein, er würde die Zeit und den Ort seines Todes selbst auswählen, und er würde solcherart sterben, dass sein Körper intakt blieb.
Das war sein Plan, als er auf die eisige Insel Aslevjal kam. Ich sah sie, wie er sie gesehen hatte: eine fast vollständig unter dem Eis begrabene Insel. Ich erinnerte mich an seine Enttäuschung darüber, verstand aber nicht den Grund für das ganze Eis. Vielleicht war der Meeresspiegel damals niedriger gewesen oder die Winter vielleicht kälter, denn das Wasser um die Insel war gefroren, sodass er das Meer darunter mehr fühlte, denn sah. Er flog darüber hinweg - so strahlend schwarz, wie das Eis weiß war doch nirgends fand er den Eingang, den er suchte. Schließlich gab er sich mit einem Riss im Eis zufrieden, kroch hinein und ergab sich dem Schlaf, wohl wissend, dass es für seine Art nur ein kleiner Schritt von kaltem Schlaf zum Tod war.
Doch der Körper wählt stets das Leben. Er wird nicht durch Logik oder Emotionen beeinflusst. Eisfeuer verließ das Leben in einem Zustand der Suspension, aber er konnte sich nicht von seinem Körper trennen. So sehr er sich auch bemühte, immer wieder kehrte sein Bewusstsein zurück und schrie, dass er kalt und steif sei und wahnsinnig vor Hunger. Als das Eis sich schloss, quetschte und verbog es seinen Leib, konnte ihn jedoch nicht brechen. Er konnte sich selbst nicht brechen.
Eisfeuer sehnte sich nach dem Tod. Er träumte vom Tod. Wieder und wieder stürzte er sich in ihn hinein, doch nur damit sein verräterischer Leib einen weiteren langsamen Atemzug nehmen und sein dummes Herz einen weiteren Schlag tun konnte. Menschen kamen und huschten um ihn herum wie Flieger die von einem sterbenden Hirsch angezogen werden. Ein paar suchten nach seinem Geist. Andere versuchten, sein Fleisch zu durchbohren. Sie waren nutzlos, sie alle. Sie konnten ihm noch nicht einmal dabei
Weitere Kostenlose Bücher