Die 39 Zeichen 06 - Gefahr am Ende der Welt
auf. Ihre Blicke trafen sich. »Wen fürchtet jeder Familienzweig?«
»Die Madrigals«, antwortete Dan.
»Isabel meinte, die Madrigals sind womöglich abtrünnige
Cahills, die ihren jeweils eigenen Zweig verlassen und sich zu einer neuen Gruppe zusammengeschlossen haben. So eine Art Geheimbund. Das würde erklären, warum niemand wirklich weiß, wer sie sind. Es hat einfach nur jeder Angst vor ihnen.«
Amy runzelte die Stirn. »Aber Amelia Earhart kann kein Madrigal gewesen sein. Das ist einfach unmöglich. Sie war eine Heldin. Eine Entdeckerin. Und außerdem war sie weder hinterlistig noch gemein. Ich kann nicht glauben, dass sie ihren Familienzweig verraten haben soll, nur um an die Macht zu kommen.« Oder dass sie einer Gruppe angehörte, die eines Tages unsere Eltern ermorden würde … wenn der Teil der Geschichte überhaupt stimmt.
»Vielleicht hat sie nur einfach alles perfekt geheim gehalten«, sagte Dan mit finsterem Blick. »Okay, wir haben Amelia Earhart, Festungen der Familienzweige und einen Verrückten ohne Namen, vielleicht war es H, vielleicht auch Bob, aber ganz bestimmt hatte er das Glück nicht gerade für sich gepachtet«, fasste Dan zusammen. »Ich weiß noch immer nicht, was wir eigentlich in Australien suchen. Und was haben unsere Eltern hier gemacht? Warum sind sie überhaupt nach Sydney gekommen? Amelia Earhart ist jedenfalls nicht hier gewesen.«
»Wahrscheinlich wollten sie Shep treffen. Er sollte sie ja in seinem Flugzeug herumfliegen. So konnten sie auch nicht so leicht verfolgt werden.«
Amy drehte sich zu ihrem Onkel um und fragte laut: »Shep, was wollten unsere Eltern in Adelaide? Weißt du das zufällig?«
»Klar«, antwortete er. »Wir mussten vor Darwin noch einmal tanken. Wir hatten mehrere Möglichkeiten und die beiden entschieden sich für Adelaide.«
Er stellte die Fischplatte auf den Esstisch. »Ich will ja nicht neugierig sein«, sagte er, »aber ich habe das Gefühl, das ist eine größere Geschichte. Heute sind wir schon von ziemlich bulligen amerikanischen Surfern attackiert worden, Amy verschwindet mehrere Stunden lang, und als sie wieder auftaucht, sieht sie aus wie der Tod persönlich, und jetzt spricht offenbar auch noch Amelia Earhart aus ihrem Grab im Meer zu euch. Wollt ihr mir vielleicht verraten, was hier eigentlich los ist? Da ich euch durch halb Australien fliegen werde und zufällig noch euer Onkel bin, glaube ich, ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren.«
»Absolut«, stimmte Dan ihm zu. »Die Wahrheit ist, wir gehören zu einer Bande von Meisterdieben. Wir sind in die Prägeanstalt für den US-Dollar eingebrochen und haben eine Milliarde Dollar in Gold geklaut. Amy und ich sind so klein, dass wir in die Lüftungsrohre klettern konnten. Dann sind wir mit dem Gold abgehauen und jetzt verfolgen uns die anderen. Aber die wissen ja nicht, dass wir für den Präsidenten arbeiten.«
»Und Amelia Earhart …«
»… war auf einer Geheimmission. Sie suchte nach einer geheimen Unterwasserfestung, in der man alles Gold der Welt verstecken kann. Jetzt suchen wir danach.«
Shep nickte verstört. »A-ha. Gut, dass wir das geklärt haben. Aber jetzt wollen wir essen.«
Amy konnte nicht einschlafen. Jedes Mal wenn sie die Augen schloss, sah sie Irinas wilden Blick vor sich.
Glaubst du, deine Mutter ließ dich zurück und rannte in ein brennendes Haus, nur um ihren Ehemann zu retten?
Erinnere dich an jene Nacht, Amy. Denk nach. Du warst dort. Du warst alt genug, um es zu sehen .
Dieses Durcheinander, diese Enge in ihrer Brust gaben ihr das Gefühl, nicht atmen zu können. Warum hatte sie solche Angst? Warum kam ihr Isabel so vertraut vor, und warum erfüllte sie das mit solchem Entsetzen?
Nellie schlummerte friedlich neben ihr, und Dan lag wie ein unförmiger Klumpen auf dem Sofa neben dem Fenster, eingewickelt in eine Patchworkdecke. Amy schlüpfte aus dem Bett. Die Lederjacke lag auf dem Sessel neben Dan. Sie zog sie an und kuschelte sich hinein. Die faszinierende Vorstellung, dass sie einmal Amelia Earhart gehört hatte, wich dem schlichten Wunsch, etwas zu berühren, das ihre Mutter in der Hand gehalten hatte. Sie rieb das Kinn am Kragen.
»Ich vermisse sie.« Dans Stimme klang schläfrig. »Kann man jemanden vermissen, an den man sich gar nicht erinnert?«
»Ich vermisse sie auch«, sagte Amy leise. »Es ist so merkwürdig, hier zu sein. Weil sie auch hier waren.«
»Ja. Man hat das Gefühl, sie könnten jede Sekunde durch die Tür
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