Die 39 Zeichen 10 - Der Schlüssel zur Macht
abgerichtet. Das Mädchen versuchte verzweifelt dem Tier auszuweichen, denn Affenhaare würden sich auf ihrem schwarzen Designerkleid nicht gut machen. Und dem vierzehnjährigen Ian wurde schon schlecht bei dem Gedanken, mit Affenspucke in Kontakt zu kommen. Diese Instinkte würden Ian und Natalie eines Tages noch gute Dienste erweisen, wenn sie irgendwann Oberhaupt des Kabra-Imperiums würden. Nach Isabels jahrzehntelanger Alleinherrschaft, versteht sich. Jetzt aber waren Isabels Kinder noch Untergebene, und sie konnte nicht zulassen, dass sie einen direkten Befehl nicht befolgten.
»Wo bleibt euer ›Ja, Mum‹, ›Wie du willst, Mum‹?«, fragte sie gereizt. »Wann habt ihr aufgehört, mir sofort zu gehorchen?«
Ian murmelte etwas vor sich hin, das Isabel nicht recht verstand.
»Was redest du da?«, fragte sie. »Sprich lauter!«
»W-wir …« Stotterte Ian etwa? Ian, dem sie beigebracht hatte, eloquent und elegant zu sein. Der schon mit drei Jahren gewusst hatte, wie man einen Smoking trug?
Ian räusperte sich und zwang eine Antwort heraus: »Wir haben nicht aufgehört zu gehorchen. Wir denken jetzt nur vorher nach.«
Isabel schlug dem Jungen ins Gesicht.
Drittes Kapitel
Amy legte alle Abhörgeräte nebeneinander auf den Tisch. Nachdem Nellie die Kabra-Wanze zerstört hatte, war das Hotelzimmer durchsucht worden, so wie sie es von Anfang an hätten tun sollen. Sie hatten drei weitere Wanzen gefunden: eine genial kleine in einer Lampe, eine sehr elegante an einem Bilderrahmen, die Amy zuerst für einen Teil des Kunstwerks gehalten hatte, und ein recht unhandliches Gerät, das aussah, als wäre es von einem Footballspieler mit dicken Fingern zusammengebastelt worden.
»Ekaterina«, sagte Amy und zeigte auf die geniale Miniatur.
»Janus«, sagte Dan und zeigte auf das kleine Kunstwerk.
»Tomas«, sagte Nellie, zeigte auf das grob zusammengezimmerte Ding und verdrehte die Augen.
»Und die Kabra-Münze stammt von den Lucians, also haben wir alle beisammen«, schloss Amy.
Sie hatten die vier Zweige der Cahill-Familie aufgelistet, deren Mitglieder sich an der Zeichenjagd beteiligten. Jeder der Zweige stammte von einem der verfeindeten Kinder von Gideon und Olivia Cahill ab: Katherine, Jane, Thomas und Luke. Nur die Madrigals – zu denen Amy und Dan gehörten – wussten, dass nach dem Bruch der Familie noch ein fünftes Kind geboren worden war: Madeleine.
Meine Vorfahrin , dachte Amy.
Es war ein gutes Gefühl, zu wissen, wohin man gehörte. Schon seit Beginn der Zeichenjagd hatte sie sich danach gesehnt.
Aber gehöre ich wirklich dazu, wenn ich nicht das tue, was die Madrigals von mir verlangen? , fragte sie sich.
Dan schob die drei Abhörgeräte auf dem Tisch zusammen. Er hob die Faust, um alle mit einem Schlag zu zerschmettern.
»Drei, zwei, eins …«, begann er zu zählen.
Kurz bevor seine Faust die Wanzen traf, packte Amy ihn am Handgelenk.
»Was ist denn?«, schimpfte er und machte sich los. »Spinnst du?«
»Ich muss mit dir reden«, erwiderte Amy. Sie zeigte auf das Badezimmer und zog ihn am Handgelenk hinter sich her. Dan runzelte die Stirn, folgte ihr aber. Nellie wies auf sich selbst und hob die Augenbrauen, als wolle sie fragen: »Ich auch?«
Amy nickte.
Im Badezimmer drehte Amy die Wasserhähne von Waschbecken und Badewanne voll auf. Es rauschte wie ein Wasserfall. Sie mussten ihre Köpfe zusammenstecken, um hören zu können, was Amy sagte. Es bestand nun keine Gefahr mehr, dass die Wanzen sie abhörten.
»Wir wollen also sichergehen, dass die Kabras nicht gewinnen. Da könnten wir doch den anderen Teams einen kleinen Tipp zukommen lassen, oder? Sollen wir ihnen nicht unseren Hinweis geben?«, fragte Amy. »Außerdem … handeln wir dann auch so, wie die Madrigals es von uns verlangen.«
»Meinst du das ernst?«, fragte Dan entsetzt. »Das war harte Arbeit! Und du willst einfach alles weitersagen?«
»Was ist, wenn am Ende die furchtbaren Holts die Welt beherrschen, weil ihr euer Wissen weitergegeben habt?«, gab Nellie zu bedenken.
Die Holts waren die Mitstreiter vom Tomas-Zweig: Eisenhower, Mary-Todd Holt und ihre drei Kinder Hamilton, Reagan und Madison.
»Hamilton ist kein schlechter Kerl«, sagte Dan.
»Ja, aber dieser Eisenhower!«, entgegnete Nellie.
Eisenhower Holt war ein muskelbepackter, unterbemittelter Holzschädel.
Und er war dabei, als Mum und Dad starben , dachte Amy. Sie ballte die Fäuste, als wollte sie so die unbeholfen zusammengebastelte Wanze der Holts
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