Die 39 Zeichen - Die Rache der Romanows - Band 5
in dem Reiseführer aufzuschlagen, aber wenn sie Dan den Mönch rüberreichte, würde er ihn womöglich fallen lassen.
»Halt mal«, sagte sie – der Wissensdurst hatte gesiegt. »Und sei vorsichtig. Sie ist zerbrechlich.«
»Keine Sorge«, erwiderte Dan, nahm ihr die Figur aus der Hand und hielt sie gegen das Licht.
»Die ist ja fast durchsichtig«, meinte er, während Amy das Buch durchblätterte. »Und innen drin steht was.«
»Wie?« Amy griff nach dem Mönch.
»Na da! Nur mit der Ruhe. Das Ding ist zerbrechlich, weißt du?«
»Was ist da drin? Was siehst du?«
»Eine Art Bilderrätsel. Darin bin ich gut. Ein Schuh, ein Wal, und dann ein O und ein W.«
»Schuhwalow«, verkündete Dan. »Hast du das schon mal gehört?«
Amy schüttelte den Kopf, aber irgendetwas an dem Wort kam ihr bekannt vor. Sie dachte kurz nach, doch sie kam nicht darauf. Also zeigte sie Dan das Bild, nach dem sie im Reiseführer gesucht hatte.
»Das ist Rasputin«, erklärte Amy. »Hundertpro.«
Dan sah sich das körnige Schwarzweißfoto an, auf dem ein zornig dreinblickender Mann dargestellt war.
»Mönche können echt finstere Gesellen sein«, meinte er.
Amy wusste, dass er an die Mönchsbande dachte, die sie in Österreich verfolgt hatte.
»Warum bist du dir so sicher, dass es dieser Kerl ist?«
»Rasputin war kein gewöhnlicher Mönch. Es hieß, es sei unmöglich, ihn zu töten. Hört sich das nicht nach einem Cahill an? Unverwundbar?«
Dan riss die Augen auf.
»Rasputin hatte sich in die engsten Kreise der mächtigsten russischen Familie eingeschlichen: den Romanows. Sie waren die russische Zarenfamilie, also eine
Königsfamilie, wie es sie in England oder Schweden gibt.«
»Erzähl weiter, aber lass diese langweiligen Königsfamilien aus dem Spiel.«
»Rasputin war ein echter Charmeur. Er konnte die Zarenfamilie davon überzeugen, dass er übernatürliche Heilkräfte habe, und allem Anschein nach besaß er sie tatsächlich.«
»Wahnsinn«, meinte Dan ebenso erstaunt wie an dem Tag, an dem er herausgefunden hatte, dass sein Lehrer ein Toupet trug.
»Rasputin stand besonders dem Thronfolger Alexej und seiner Schwester Anastasia nahe. Sie war ein wirklich beeindruckendes Mädchen, glaub mir. Alexej dagegen war ständig krank. Er litt an Hämophilie.«
Dan wich zurück. »Hat das nicht irgendwas mit dem Hintern zu tun?«
»Du Ekelpaket! Ich red nicht von Hämorriden, sondern von Hämophilie. Alexej hatte die Bluterkrankheit. Selbst die kleinste Wunde hörte bei ihm nicht mehr auf zu bluten.
Stell dir vor, du würdest vom Skateboard stürzen und dir das Knie aufschlagen. Aber egal was du auch tust, es würde immer weiter bluten, bis du irgendwann verbluten würdest.«
»Cool!«, staunte Dan.
»Von wegen cool! Wenn Rasputin nicht gewesen wäre,
wäre Alexej noch vor seinem zehnten Lebensjahr gestorben. Aber das ist nicht das Interessanteste an der Geschichte. Vielen Adeligen war es ein Dorn im Auge, dass Rasputin so viel Macht über die Zarenfamilie besaß, und sie schmiedeten deshalb Mordpläne.«
»Okay. Jetzt wird’s spannend.«
»Hör dir das an«, verkündete Amy. Sie blätterte durch die folgenden Seiten des Reiseführers und erzählte die Geschichte in eigenen Worten nach: »Am 16. Dezember 1916 lud Felix Fürst Jusupow Rasputin in seinen Familienpalast. Er ließ Rasputin vergifteten Wein und Kuchen servieren, aber es schien keine Wirkung bei ihm zu zeigen. Rasputin ahnte, dass man ihm nach dem Leben trachtete, und deshalb flüchtete er. Fürst Jusupow schoss ihm daraufhin in den Rücken.«
»Und das war sein Ende. Schade. Der Typ fing gerade an, mir zu gefallen.«
»Falsch! Rasputin lief weiter! Die Männer des Fürsten feuerten noch mehrere Schüsse auf ihn ab, aber Rasputin rannte immer weiter. Schließlich fesselten sie ihn an Händen und Füßen, stopften ihn in einen Sack und warfen ihn durch ein Eisloch in einen Fluss. Und so gelang es ihnen, ihn endlich umzubringen. Er ertrank.« Amys Augen leuchteten und sie senkte die Stimme. »Aber als man ihn fand, hieß es, seine Fingernägel wären alle abgebrochen gewesen. Er muss noch mindestens eine halbe Stunde versucht haben, sich aus dem Sack zu befreien.«
»Das ist die beste Geschichte, die du mir je erzählt hast«, bemerkte Dan. »Ganz egal, ob sie wahr ist oder nicht.«
»Dan, ich glaube, sie ist wahr. Gerade wir sollten sie glauben, auch wenn sie von den Historikern nicht anerkannt wird. Rasputin war ein Cahill! Vielleicht stammen wir sogar
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