Die 4 Frau
perversen kleinen Miststück. Gelähmt, im Rollstuhl, den Hals in einem Stützapparat, zitternde Unterlippe. Er sieht aus wie ein kleiner Engel, der –«
»Von einer bösen, schießwütigen Polizistin umgenietet wurde«, fiel ich ihr ins Wort.
»Ich wollte sagen, von einem Sattelschlepper angefahren wurde, aber ist ja auch egal.« Sie lachte. »Wir sollten uns treffen und eine Strategie ausarbeiten. Können wir einen Termin machen?«
Mein Kalender war so blitzblank, dass man ihn fast jungfräulich nennen konnte. Bei Yuki hingegen waren die nächsten drei Wochen fast bis auf die letzte Stunde voll gestopft mit Zeugenvernehmungen, Sitzungen und Verhandlungen. Trotzdem einigten wir uns auf einen Termin wenige Tage vor dem Prozess.
»Im Moment machen die Medien einen ziemlichen Wirbel«, fuhr Yuki fort. »Wir haben das Gerücht gestreut, dass Sie sich bei Freunden in New York aufhalten, Sie sind also vor Nachstellungen sicher. Lindsay? Sind Sie noch dran?«
»Ja. Ich bin noch da«, sagte ich, den Blick starr auf den Ventilator an der Decke gerichtet. Das Blut rauschte in meinen Ohren.
»Ich schlage vor, Sie ruhen sich aus, so gut es geht. Entspannen Sie sich und halten Sie sich bedeckt. Und überlassen Sie alles andere mir.«
Gut.
Ich duschte, zog eine Leinenhose und ein rosa T-Shirt an und ging mit meinem Kaffee in den Garten hinter dem Haus. Während ich Penelope ihr Frühstück in den Trog schüttete, stellte ich ihr eine Frage: »
Ist es besser, ein Schwein zu sein oder Schwein zu haben?
«
Ein Mädel aus der Großstadt im trauten Zwiegespräch mit einer Sau. Wer hätte das gedacht?
Ich dachte über Yukis Ratschlag nach, während ich in der sanften Meeresbrise auf der Terrasse saß.
Ruhen Sie sich aus, und halten Sie sich bedeckt
. Klang sehr vernünftig, nur leider war ich von dem unbändigen Wunsch besessen, irgendetwas zu
tun
. Ich wollte wieder mitmischen, ein paar Leuten auf die Finger klopfen, für Gerechtigkeit sorgen.
Ich konnte einfach nicht anders.
Also pfiff ich nach Martha und ließ den Explorer an. Und dann machten wir uns auf den Weg zu einem ganz bestimmten Haus in Crescent Heights – dem Schauplatz eines brutalen Doppelmords.
47
»Böser Hund«, sagte ich zu Martha. »Du kannst es nicht lassen, wie?«
Martha sah mich mit ihren braunen Schmachtaugen an, wedelte mit dem Schwanz und wandte sich dann wieder ihrer Beobachtung der von malerischen Felsformationen gerahmten Straße zu.
Während ich auf dem Highway 1 südwärts fuhr, war ich ganz kribbelig vor Aufregung. Nach drei Meilen nahm ich die Ausfahrt Crescent Heights und erblickte eine eigenwillige Ansammlung von Häusern, die sich an die Flanke des Hügels an der Südspitze der Half Moon Bay schmiegten.
Ich lenkte den Explorer den einspurigen Kiesweg hinauf und tastete mich im Schritttempo vor, bis mich der Tatort des Doppelmords regelrecht ansprang. Ich fuhr rechts ran und stellte den Motor ab.
Das mit gelben Schindeln verkleidete Haus war ein echtes Schmuckstück, mit drei Giebelfenstern, einem überwucherten Ziergarten und einem Lattenzaun mit einem Wetterfähnchen in Form eines sägenden Waldarbeiters darauf. Der Name »Daltry« war auf den handgefertigten Briefkasten aufgemalt. Dieser ganze amerikanische Traum war immer noch von einer halben Meile gelbem Plastikband eingefasst.
Polizeiabsperrung. Übertreten verboten
.
Ich versuchte mir vorzustellen, dass in diesem gemütlichen kleinen Häuschen zwei Menschen bestialisch ermordet worden waren, doch die Bilder passten nicht zusammen. Ein Mord an einem so idyllischen Ort? Schlicht undenkbar.
Was hatte den Mörder ausgerechnet hierher gebracht? War es ein gezielter Anschlag gewesen – oder war der Täter rein zufällig auf dieses traute Heim gestoßen?
»Warte hier, Mädchen«, sagte ich zu Martha und stieg aus.
Die Tat lag jetzt über fünf Wochen zurück, und die Polizei hatte den Tatort inzwischen freigegeben. Es stand jedem frei, hier herumzuschnüffeln, solange er nicht in das Haus einbrach –und überall konnte ich die Spuren der Schaulustigen entdecken: Fußabdrücke in den Blumenbeeten, Zigarettenkippen in der Einfahrt, Getränkedosen auf dem Rasen.
Ich trat durch das offene Gartentor, duckte mich unter dem Absperrband hindurch und ging ums Haus herum. Sorgfältig registrierte ich jedes Detail.
Im Gebüsch lag ein vergessener Basketball, auf den Stufen hinter dem Haus ein einzelner Kinderturnschuh, noch feucht vom Tau der letzten Nacht. Mir fiel auf, dass eines
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