Die 4 Frau
voll mit schiefen, verstaubten Fotos, auf denen Stark mit toten Tieren abgelichtet war. Auf einem Aktenschrank lag ein halb gegessenes Käsesandwich.
Der Polizeichef zog seine Jacke aus und ließ mich seine mächtige Brust und zwei überdimensionale Oberarme sehen. Er hängte die Jacke an einen Haken hinter der Tür.
»Setzen Sie sich, Lieutenant. Ich höre ständig irgendwelche Geschichten von Ihnen«, sagte er, während er einen Stapel Telefonnotizen durchblätterte. Er hatte mir noch nicht in die Augen gesehen, seit wir das Haus der Daltrys verlassen hatten. Ich nahm einen Motorradhelm von einem einfachen Holzstuhl, legte ihn auf den Boden und setzte mich.
»Was zum Teufel denken Sie sich eigentlich dabei?«, fragte er.
»Wie bitte?«
»Was zum Henker gibt Ihnen das Recht, hier aufzukreuzen und in meinem Revier rumzuschnüffeln?«, sagte er und durchbohrte mich mit seinen Blicken. »Sie sind doch auf eingeschränkten Dienst gesetzt, oder nicht, Lieutenant?«
»Bei allem gebotenen Respekt, Chief, ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Verarschen Sie mich nicht, Boxer. Ihr Ruf als tickende Zeitbombe eilt Ihnen voraus. Vielleicht haben Sie diese Jugendlichen ja ohne Grund niedergeknallt –«
»He, jetzt hören Sie mir mal –«
»Vielleicht haben Sie Schiss gekriegt, die Nerven verloren, was weiß ich. Und das würde heißen, dass Sie als Polizistin eine Gefahr für die Öffentlichkeit sind.
Kapiert?
«
Ich hatte sehr wohl kapiert. Der Typ stand im Dienstgrad über mir, und ein Bericht von ihm, in dem er mir Missachtung polizeilicher Vorschriften oder Befehlsverweigerung vorwarf, könnte mir empfindlich schaden. Dennoch versuchte ich meine neutrale Miene zu bewahren.
»Ich glaube, dass es eine Verbindung zwischen diesen jüngsten Morden und einem alten Fall von mir gibt«, sagte ich. »Die Handschrift des Mörders scheint die gleiche zu sein. Möglicherweise können wir uns gegenseitig helfen.«
»Benutzen Sie nicht das Wort
wir
, wenn Sie mit mir reden, Boxer. Sie drücken im Moment die Ersatzbank. Also schnüffeln Sie gefälligst nicht an meinen Tatorten herum. Lassen Sie meine Zeugen in Ruhe. Gehen Sie ein bisschen spazieren; lesen Sie ein Buch. Reißen Sie sich gefälligst zusammen. Vor allem –gehen Sie mir nicht länger auf den Wecker.«
Als ich die Sprache wieder gefunden hatte, war meine Stimme so angespannt, dass ein Akrobat auf ihr einen Flickflack durchs Zimmer hätte machen können.
»Wissen Sie, Chief, an Ihrer Stelle würde ich mir vor allem über eines Gedanken machen – nämlich über diesen
Psychopathen
, der Ihre Straßen unsicher macht. Ich würde mich fragen:
Wie kann ich ihm für immer das Handwerk legen?
Und eine im Dienst ausgezeichnete Kollegin von der Mordkommission, die nur bei den Ermittlungen helfen möchte, würde ich vielleicht sogar mit offenen Armen empfangen. Aber da denken wir beide wohl verschieden.«
Meine kleine Rede hatte den Polizeichef vorübergehend zum Schweigen gebracht, und so nutzte ich die Gelegenheit zu einem einigermaßen würdevollen Abgang.
»Sie wissen, wie Sie mich erreichen können«, sagte ich und stürmte aus dem Polizeirevier.
Ich konnte beinahe hören, wie meine Anwältin mir ins Ohr flüsterte:
Erholen Sie sich. Halten Sie sich bedeckt
. Prima Tipp, Yuki. Warum raten Sie mir nicht gleich, Harfenunterricht zu nehmen?
Ich ließ den Motor aufheulen, setzte zurück und düste davon.
59
Ich fuhr gerade leise fluchend die Main Street entlang und dachte an alle möglichen Sachen, die ich dem Chief noch gerne an den Kopf geworfen hätte, als mir auffiel, dass die Tankanzeige mich quasi anwimmerte:
Lindsay, du hast kein Benzin mehr!
Also bog ich in die Man-in-the-Moon-Tankstelle ein, fuhr mit dem Explorer über den Klingelschlauch, und als Keith nicht auftauchte, ging ich über die asphaltierte Fläche zu seiner Werkstatt.
»Riders on the Storm« von den Doors tönte mir entgegen, als ich die Tür öffnete.
An der Wand zu meiner Rechten hing ein Kalender mit einem Foto von Miss Juni. Sie trug ihr Haar offen, und sonst trug sie nichts. Über ihr bot sich ein wahrhaft prachtvoller Anblick: seltene, wunderschöne Kühlerfiguren von Bentleys, Jaguars und Maseratis, wie Jagdtrophäen auf lackierten Holzschilden befestigt. In einem Reifen lag zusammengerollt eine dicke rote Tigerkatze und hielt ein Schläfchen.
Ich bewunderte den roten Porsche, der in der Mitte der Werkstatt stand.
»Nettes Gefährt«, sagte ich zu Keiths Jeans und Stiefeln
Weitere Kostenlose Bücher