Die 4 Frau
kleiner Albtraum
.
»Tut mir Leid, Bob. Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
»S-s-sie müssen sich nicht entschuldigen«, wehrte Bob ab. Er rückte seine Brille mit dem rosa Gestell zurecht und nahm eine Schachtel Papiertaschentücher aus der Schreibtischschublade, um die Schweinerei aufzuwischen. »Nehmen Sie doch Platz. Bitte.«
»Danke, sehr gerne.«
Bob fragte mich, wie ich mich in Half Moon Bay so eingelebt hätte, und ich antwortete, bis jetzt sei es mir noch nicht langweilig geworden.
»Ich habe gerade etwas über Sie gelesen, Lieutenant«, sagte er, während er die Titelseite der Zeitung mit einem Ballen Kleenex trocken tupfte.
»In der Welt der Datenhighways gibt es nun mal keine Geheimnisse«, sagte ich lächelnd. Dann verriet ich Bob, dass die Morde, die sich nur wenige Meilen von meiner Haustür entfernt ereignet hatten, mein Interesse geweckt hätten, und ich fragte ihn, ob er mir etwas darüber erzählen könne.
»Ich habe Lorelei O'Malley gekannt«, sagte er. »Ich habe sie einmal vor Gericht verteidigt. Und dafür gesorgt, dass sie mit einem Klaps auf die Hand davongekommen ist«, sagte er mit einem wegwerfenden Schulterzucken. »Ben kenne ich nur flüchtig. Die Leute sagen, er müsse etwas mit Loreleis Tod zu tun haben, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er Caitlins Stiefmutter ermordet haben soll. Das Kind war schon durch den Selbstmord seiner leiblichen Mutter völlig trauma-tisiert.«
»Die Polizei überprüft grundsätzlich zuerst den Partner des Opfers.«
»Sicher. Das ist mir klar. Ich habe Freunde bei der Polizei. Ich bin in Half Moon Bay aufgewachsen«, erklärte er, »und habe mich gleich nach dem Jurastudium hier als Anwalt niedergelassen. Ich habe nichts dagegen, ein kleiner Fisch in einem kleinen Teich zu sein.«
»Sie sind zu bescheiden, Bob.« Ich deutete auf die Fotos an der Wand, die Bob beim Händeschütteln mit dem Gouverneur und anderen Honoratioren zeigten. Daneben hingen auch ein paar säuberlich gerahmte, auf Pergament gedruckte Auszeichnungen.
»Ach, die«, meinte Bob und zuckte erneut mit den Achseln. »Na ja, ich arbeite nebenher ehrenamtlich als Prozesspfleger für missbrauchte oder vernachlässigte Jugendliche; das heißt, ich vertrete sie vor Gericht und sorge dafür, dass ihre Rechte gewahrt werden.«
»Sehr löblich«, sagte ich. Ich wurde allmählich warm mit diesem sympathischen jungen Mann, und mir fiel auf, dass auch er sich in meiner Gegenwart wohler zu fühlen begann. Seit dem Malheur mit dem Kaffee hatte er nicht mehr gestottert.
Bob lehnte sich in seinem Sessel zurück und deutete auf ein Foto von einer Preisverleihung im Rathaus, auf dem er einem Mann die Hand schüttelte, der ihm eine Urkunde überreichte.
»Sehen Sie den da?«, fragte er und zeigte mir einen adrett gekleideten Mann, der mit einigen anderen in einer Stuhlreihe auf dem Podium saß. »Ray Whittaker. Er und seine Frau Molly lebten in L.A., verbrachten den Sommer aber immer hier. Vor zwei Jahren wurden sie in ihren Betten ermordet. Lindsay, wussten Sie, dass alle diese Menschen ausgepeitscht und mit einem Schnitt durch die Kehle getötet wurden?«
»Ich habe es gehört«, antwortete ich. In Gedanken klinkte ich mich einen Moment lang aus, während mein Gehirn die Information über einen weiteren, wenige Jahre zurückliegenden Doppelmord zu verarbeiten suchte.
Was hatte es mit dem Auspeitschen auf sich? Wie lange trieb der Täter schon sein Unwesen?
Als ich mich wieder auf Bob konzentrierte, sprach er immer noch über die Whittakers.
»... freundlich und umgänglich, wirklich nette Leute. Er war Fotograf, sie Kleindarstellerin in Hollywood. Es ist einfach nicht zu begreifen. Das waren
alles
anständige Menschen, und es ist wirklich tragisch, dass die Kinder dann bei Pflegeeltern landen oder bei Verwandten, die sie kaum kennen. Ich mache mir wirklich Sorgen um die Kinder.« Er schüttelte den Kopf und seufzte. »Ich versuche diese Dinge nicht mit nach Hause zu nehmen, wenn ich Feierabend mache, aber irgendwie scheint das nicht zu funktionieren.«
»Ich weiß, wovon Sie reden«, sagte ich. »Wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben, erzähle ich Ihnen eine Geschichte, die ich seit zehn Jahren jeden Tag aus dem Büro mit nach Hause nehme.«
55
Bob stand auf und ging zu einer Kaffeemaschine, die auf einem Aktenschrank stand. Er schenkte mir und sich selbst eine Tasse ein.
»Ich habe alle Zeit der Welt«, sagte er. »Die Preise bei Starbucks gefallen mir nicht.« Er
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