Die 4 Frau
dass die Menschen, die ich zu schützen geschworen hatte, sich in dieser Art und Weise gegen mich wandten?
Carlos Vega von KRON-TV hatte mit dem »Dirty-Harriet-Prozess« eine Sternstunde. Er war ein sehr kleiner Mann mit dem Gebaren eines tollwütigen Terriers. Doch er hatte zudem eine äußerst raffinierte Fragetechnik drauf, bei der der Interviewte gar nicht merkte, wie ihm das Fell über die Ohren gezogen wurde. Ich kannte Carl – er hatte auch mich schon interviewt –, und als er mich fragte: »Können Sie es den Cabots verdenken, dass sie Sie verklagt haben?«, wäre ich ihm fast ins Gesicht gesprungen.
Ich war schon drauf und dran, Mr. Vega ein saftiges kleines Zitat für seinen Beitrag in den Sechs-Uhr-Nachrichten zu liefern, als jemand mich am Ärmel aus dem Gedränge herauszog. Ich riss mich los – und dann sah ich, dass es nur ein Kollege in Uniform war, der mich vor der Meute retten wollte.
»Conklin!«, rief ich. »Gott sei Dank.«
»Bleiben Sie dicht hinter mir, Lieutenant«, sagte er und steuerte mich durch die Menge zu einer Polizeiabsperrung, die einen schmalen Korridor zum Eingang des Gerichtsgebäudes frei ließ. Mir wurde ganz warm ums Herz, als meine uniformierten Kollegen, die sich an den Händen gefasst hatten, um mir sicheres Geleit zu geben, mir zunickten oder aufmunternde Worte riefen, wenn ich an ihnen vorbeikam.
»
Zeigen Sie's ihnen, Lieutenant!
«
»
Immer schön die Ohren steif halten, LT!
«
Ich entdeckte Yuki auf den Stufen des Gerichtsgebäudes und ging schnurstracks auf sie zu. Sie löste Officer Conklin ab, und mit vereinten Kräften zogen wir die schwere Stahlglastür des Zivilgerichts auf. Wir gingen eine Marmortreppe hoch, und wenig später betraten wir den eindrucksvollen, mit Kirschholz vertäfelten Gerichtssaal im ersten Stock.
Alle Köpfe drehten sich bei unserem Auftritt zu uns um. Ich strich meinen frisch gebügelten Kragen glatt, fuhr mir mit der Hand übers Haar und schritt mit Yuki über den Teppich auf den Platz der Verteidigung zu, der sich ganz vorne vor dem Richtertisch befand. In den letzten paar Minuten war es mir einigermaßen gelungen, mich zu beherrschen, aber innerlich schäumte ich vor Wut.
Wie war ich nur in diese beschissenen Situation geraten?
83
Yuki trat zur Seite, damit ich meinen Platz am Tisch neben dem silberhaarigen und wortgewand ten Mickey Sherman einnehmen konnte. Er stand halb auf und schüttelte mir die Hand.
»Lindsay, hallo! Sie sehen fantastisch aus! Wie fühlen Sie sich?«
»Besser denn je!«, scherzte ich.
Aber wir wussten beide, dass kein normaler Mensch sich in meiner Situation auch nur annähernd gut fühlen konnte. Meine gesamte Karriere stand auf dem Spiel, und wenn die Geschworenen gegen mich entscheiden sollten, wäre mein Leben ein einziger Scherbenhaufen. Dr. und Mrs. Cabot klagten auf Schadensersatz in Höhe von 50 Millionen Dollar, und auch wenn 49,99 Millionen davon die Stadt San Francisco berappen müsste, wäre ich finanziell am Ende, und der Name »Dirty Harriet« würde mir vermutlich bis an mein Lebensende anhängen.
Während Yuki neben mir Platz nahm, beugte sich Chief Tracchio über das Geländer und tätschelte mir aufmunternd die Schulter. Damit hatte ich nicht gerechnet, und ich war ganz gerührt. Dann erhob sich ein Stimmengewirr, als das »Dream Team« der Anklage den Saal betrat und seine Plätze gegenüber von uns einnahm.
Kurz darauf trafen auch Dr. und Mrs. Cabot ein und nahmen hinter ihren Anwälten Platz. Der große, spindeldürre Dr. Cabot und seine blonde, von Gram gezeichnete Gattin fixierten mich sofort mit ihren Blicken.
Andrew Cabot war ein bebender Vulkan, in dem es vor unterdrückter Wut und rasendem Schmerz brodelte. Und Eva Cabots Gesicht war ein Bild endloser, trostloser Verzweiflung. Sie war eine Mutter, die durch mich auf völlig unerklärliche Weise ihre Tochter verloren hatte – und zudem hatte ich ihren Sohn zum Krüppel gemacht. Als sie ihre rot geränderten grauen Augen auf mich richtete, konnte ich nur bodenlose Wut darin sehen.
Eva Cabot hasste mich
.
Sie wünschte mir den Tod
.
Erst als ich Yukis kühle Hand auf meinem Unterarm spürte, konnte ich den Blick von Mrs. Cabot wenden – doch da hatten die Kameras schon das Bild festgehalten, wie wir uns gegenseitig anstarrten.
»Erheben Sie sich von Ihren Plätzen!«, rief der Gerichtsdiener mit dröhnender Stimme.
Unter lautem Geraschel folgten alle im Saal seiner Aufforderung, worauf Richterin Achacoso, eine
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