Die 4 Frau
schlürfendes Geräusch ertönte aus dem Beatmungsgerät, als die Druckluft in seine Lungen gepumpt wurde – ein Geräusch, das sich alle drei oder vier Sekunden wiederholte, jedes Mal, wenn Sam Cabot Luft holen musste.
Ich sah zu, wie die Helferin Sam zum Zeugenstand schob.
»Euer Ehren«, sagte Mason Broyles, »da wir nicht wissen, wie lange Sam hier aussagen muss, würden wir das Beatmungsgerät gerne an eine Steckdose anschließen, um die Batterie zu schonen.«
»Selbstverständlich«, erwiderte die Richterin.
Die junge Frau zog ein langes orangefarbenes Kabel zu einer Steckdose und schloss es an. Dann nahm sie hinter Andrew und Eva Cabot Platz.
Ich war jetzt gezwungen, Sam direkt anzuschauen.
Sein Hals war steif, und sein Kopf wurde mittels eines um die Stirn gespannten Halo-Fixateurs an der Rückenlehne des Stuhls gehalten. Die Vorrichtung erinnerte an irgendeine mittelalterliche Folter, und ich bin mir sicher, dass Sam es genau so empfand.
Der Gerichtsdiener, ein hoch gewachsener junger Mann in einer grünen Uniform, trat auf Sam zu.
»Bitte hebe die rechte Hand.«
Sams Augen zuckten wild nach links und nach rechts. Er pumpte sich Luft in die Lungen und sprach dann in den kleinen grünen Kasten. Die Stimme, die herauskam, klang auf schaurige und verstörende Weise mechanisch.
»Das
kann
ich nicht«, sagte Sam.
90
Sams Stimme klang zwar nicht mehr ganz menschlich, doch sein junges Gesicht und sein kleiner, schmächtiger Körper ließen ihn so schutzlos und zerbrechlich wirken wie sonst niemand im Saal. Ein mitleidiges Raunen war von der Zuschauergalerie zu vernehmen, als der Gerichtsdiener sich an Richterin Achacoso wandte.
»Euer Ehren?«
»Nehmen Sie ihm den Eid ab.«
»Schwörst du, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr dir Gott helfe?«
»Ich schwöre«, sagte Sam Cabot.
Broyles lächelte Sam an und ließ den Geschworenen reichlich Zeit, den erbarmungswürdigen Zustand von Sams Cabots Körper in aller Ruhe auf sich wirken zu lassen, ihn eingehend zu betrachten und sich die Hölle auszumalen, zu der sein Leben geworden sein musste.
»Du musst nicht nervös sein«, sagte Broyles zu Sam. »Sag einfach nur die Wahrheit. Erzähl uns, was damals passiert ist, Sam.«
Broyles stellte Sam zunächst ein paar Aufwärmfragen, wobei er immer geduldig wartete, wenn der Junge wieder einmal den Luftschlauch in den Mund nehmen musste. Sam antwortete stockend und in Satzfragmenten, deren Länge von der Luftmenge bestimmt wurde, die seine Lungen bei einem Beatmungsstoß aufnehmen konnten.
Broyles fragte Sam, wie alt er sei, wo er wohne und auf welche Schule er gehe, um dann allmählich auf das Wesentliche zu kommen.
»Sam, erinnerst du dich noch an das, was am Abend des zehnten Mai passiert ist?«
»Das werde ich nie vergessen... solange ich lebe«, antwortete Sam. Die Worte kamen stoßweise aus dem künstlichen Kehlkopf, immer wieder unterbrochen durch Atempausen. »Ich kann an nichts anderes mehr denken... und so sehr ich es auch versuche... es geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf... Das war der Abend, an dem
sie
meine Schwester getötet hat... und auch
mein
Leben ruiniert hat.«
»Einspruch, Euer Ehren!«, sagte Yuki und stand auf.
»Junger Mann«, mahnte die Richterin, »ich weiß, dass es schwer ist, aber versuche bitte, deine Ausführungen auf die Antworten zu den Fragen zu beschränken.«
»Sam, gehen wir doch noch einmal ein Stück zurück«, sagte Broyles freundlich. »Kannst du uns die Ereignisse jenes Abends schildern? Und geh bitte Schritt für Schritt vor.«
»Da ist eine ganze Menge passiert«, antwortete Sam. Er nahm eine Lunge voll Luft und fuhr fort. »Aber ich kann mich nicht mehr... an alles erinnern. Ich weiß, dass wir Dads Auto genommen haben... und dass wir Angst hatten. ... Wir hörten die Sirenen kommen. ... Sara hatte doch keinen Führerschein. Dann ist der Airbag aufgegangen. ... Und dann hab ich nur noch gesehen... wie diese Frau Sara erschossen hat. ... Ich weiß nicht, warum sie das gemacht hat.«
»Schon gut, Sam. Das ist völlig okay.«
»Ich habe einen Lichtblitz gesehen«, fuhr der Junge fort und sah mir dabei in die Augen. »Und dann war meine Schwester... sie war tot.«
»Ja. Das wissen wir alle, Sam. Nun, Sam – erinnerst du dich auch, wann Lieutenant Boxer auf
dich
geschossen hat?«
Sam drehte den Kopf hin und her – innerhalb des beschränkten Radius, den ihm seine Stützvorrichtung gestattete. Und dann fing er
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