Die 4 Frau
glaube, du hast telefoniert, Jacobi.«
Er lachte nicht. Ein schlechtes Zeichen.
»Dafür gibt's keine Entschuldigung.«
»Wir hatten jedenfalls das Herz am rechten Fleck.«
»Herz? Scheiß drauf. Das nächste Mal darf es ein bisschen weniger Herz und ein bisschen mehr Verstand sein.«
Er hatte natürlich Recht. Ich hörte mir alles an, nickte und fügte in Gedanken den einen oder anderen Aspekt hinzu. Zum Beispiel: Würde ich je wieder unbefangen eine Waffe in der Hand halten können? Würde ich nicht im falschen Moment zögern? Oder zuerst schießen und dann denken? Ich goss Jacobi ein Glas Wasser ein und steckte einen gestreiften Strohhalm hinein. »Ich hab's versaut. Ich hätte dem Burschen Handschellen anlegen sollen –«
»Fang erst gar nicht damit an, Boxer. Wenn schon, dann hätten
wir
– und außerdem hast du mir wahrscheinlich das Leben gerettet.«
Aus dem Augenwinkel registrierte ich eine Bewegung an der Tür. Polizeichef Anthony Tracchios Haare waren glatt zurückgekämmt, seine Zivilklamotten waren sauber und frisch gebügelt, und in den Händen hielt er eine Schachtel Pralinen. Er sah aus wie ein Teenager, der ein Mädchen zum ersten Date abholt. Na ja, fast.
»Jacobi. Boxer. Freut mich, dass ich Sie beide zusammen erwische. Wie geht's denn so – okay?« Tracchio war kein schlechter Kerl, und mich hatte er immer gut behandelt; trotzdem konnte man unser Verhältnis nicht unbedingt als lodernde Romanze bezeichnen. Er wippte eine Weile auf den Fußballen auf und ab, dann steuerte er Jacobis Bett an.
»Ich habe Neuigkeiten.«
Jetzt hatte er unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.
»Die Cabot-Geschwister haben im Lorenzo Fingerabdrücke hinterlassen.« Seine Augen funkelten regelrecht. »Und Sam Cabot hat gestanden.«
»Ach du Scheiße! Ist das wahr?«, keuchte Jacobi.
»Beim Barte meiner Mutter. Der Junge hat einer Krankenschwester erzählt, dass er und seine Schwester eine Art Spiel mit diesen Ausreißern gespielt hätten. Sie nannten es ›Eine Kugel oder ein Bad‹.«
»Wird die Krankenschwester vor Gericht aussagen?«, fragte ich.
»Ja, das wird sie. Das hat sie mir persönlich geschworen.«
»›Eine Kugel oder ein Bad.‹ Diese kleinen Arschlöcher«, schnaubte Jacobi. »Ein Spiel.«
»Tja, das Spiel ist jetzt aus. Wir haben sogar im Zimmer des Mädchens im Haus ihrer Eltern Notizbücher und Krimihefte gefunden. Sie war besessen von allem, was mit Mord zu tun hatte. Also, Sie beide sehen jetzt erst mal zu, dass Sie wieder gesund werden, ja? Machen Sie sich bloß keine Gedanken. –Ach ja, das hier ist von der Abteilung«, sagte er und drückte mir die Schachtel Ghirardelli-Pralinen in die Hand, zusammen mit einer Genesungskarte mit zahlreichen Unterschriften. »Wir sind stolz auf Sie beide.«
Wir redeten noch ein paar Minuten und trugen Tracchio auf, den Kollegen im Präsidium unseren Dank auszurichten. Als er weg war, ergriff ich Jacobis Hand. Wir hatten gemeinsam dem Tod ins Auge geblickt, und das hatte uns auf eine Art und Weise zusammengeschweißt, die über bloße Freundschaft hinausging.
»Also, die Kids hatten Dreck am Stecken«, sagte ich.
»Ja. Machen wir 'ne Flasche Schampus auf.«
Ich konnte ihm seine Skepsis nicht verdenken. Dass die Cabot-Geschwister Mörder waren, nahm dem Geschehenen nichts von seinem Schrecken. Und es konnte auch den Gedanken nicht vertreiben, der mir seit Tagen im Kopf herumspukte.
»Ich muss dir was sagen, Jacobi. Ich denke drüber nach, den Krempel hinzuschmeißen. Den Dienst zu quittieren.«
»Ach, hör auf.
Mir
musst du doch nichts vormachen.«
»Ich meine es ernst.«
»Du wirst nicht aufhören, Boxer.«
Ich strich eine Falte in seiner Decke glatt, dann drückte ich auf den Klingelknopf, um mich von der Schwester zurück in mein Zimmer fahren zu lassen.
»Schlaf gut, Partner.«
»Ich weiß. ›Machen Sie sich bloß keine Gedanken.‹«
Ich beugte mich vor und drückte einen Kuss auf seine stachlige Wange, was ich noch nie zuvor getan hatte. Ich weiß, dass es wehgetan haben muss, aber Jacobi brachte tatsächlich ein Lächeln zustande.
12
Es war ein Tag wie aus dem Malbuch eines Kindes. Strahlend gelbe Sonne, Vogelgezwitscher und überall der blumige Duft des Sommers. Auch die ausgelichteten Bäume im Park des Krankenhauses hatten sich mit glänzenden neuen Blättern geschmückt, seit ich vor drei Wochen zuletzt vor der Tür gewesen war.
Ein herrlicher Tag, kein Zweifel, aber irgendwie konnte ich diese scheinbare Normalität nicht in
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