Die 4 Frau
Hinterland und einen fantastischen Meerblick. Obendrein war es jetzt im Juni so warm, dass ich mich auf Cats Veranda entspannen konnte, bis die hässlichen Bilder in meinem Kopf in der Sonne verblichen waren.
Ich konnte einfach nicht bis zum Morgen warten. Um Viertel vor eins rief ich meine Schwester an. Ihre Stimme klang heiser und verschlafen.
»Lindsay, natürlich habe ich es ernst gemeint. Komm, wann immer du magst. Du weißt, wo die Schlüssel sind.«
Ich versuchte an Half Moon Bay zu denken, aber jedes Mal, wenn ich gerade eingenickt war und vom Paradies träumte, schreckte ich wieder hoch, und mein Herz raste wie die Atome in einem Teilchenbeschleuniger. Es war nun mal so, dass der bevorstehende Gerichtstermin alles andere in meinem Kopf verdrängte. Ich konnte einfach an nichts anderes denken.
15
Gewitterwolken strichen über das Dach des Civic-Center-Gerichtsgebäudes in der McAllister Street Nr. 400 hinweg, und peitschen der Regen überflutete die Straßen. Nachdem ich an diesem Morgen meinen Stock zu Hause gelassen hatte, hängte ich mich bei Mickey Sherman ein, dem Anwalt in Diensten der Stadt San Francisco, als wir die glitschigen Stufen zum Gericht erklommen. In mehr als einer Hinsicht stützte ich mich auf ihn.
Wir kamen an Dr. Andrew Cabot und seinem Anwalt Mason Broyles vorbei. Sie standen unter einer Traube von schwarzen Regenschirmen und gaben ein Presseinterview. Ich konnte nur froh sein, dass keine Kameras auf mich gerichtet waren.
Im Vorbeigehen streifte ich Mason Broyles mit einem Blick. Er hatte schwere Lider und wallendes schwarzes Haar, und der Schwung seiner Lippen hatte etwas Wölfisches. Ich hörte ihn etwas von »Lieutenant Boxers Brutalität« schwafeln und wusste, dass er mich zerfleischen würde, wenn er nur die Chance bekäme. Was Dr. Cabot betraf, so hatte der Kummer seine Züge zu einer steinernen Maske erstarren lassen.
Mickey zog eine der schweren Türen aus Stahl und geätztem Glas auf, und wir betraten das Foyer des Gerichtsgebäudes. Mickey war ein abgeklärter alter Hase und genoss allgemeinen Respekt wegen seiner Hartnäckigkeit, seiner untrüglichen Instinkte und seines beträchtlichen Charmes. Er hasste es, zu verlieren, und er verlor nur äußerst selten.
»Wissen Sie, Lindsay«, sagte er, während er seinen Schirm zusammenrollte, »er plustert sich nur so auf, weil wir einen bedeutenden Fall haben. Lassen Sie sich davon nicht beeindrucken. Sie haben eine Menge Freunde da draußen.«
Ich nickte, aber woran ich denken musste war, dass ich Sam Cabot für den Rest seines Lebens in den Rollstuhl gebracht hatte und seine Schwester für den Rest der Ewigkeit in das Cabot'sche Familiengrab. Ihr Vater brauchte weder meine Wohnung noch mein erbärmliches kleines Bankkonto. Er wollte mich vernichten. Und dafür hatte er genau den richtigen Mann engagiert.
Mickey und ich nahmen die Hintertreppe und schlüpften durch die Tür des Verhandlungssaals C im ersten Stock. In diesem kleinen, schlichten Raum mit seinen grauen Wänden und einem Fenster, das auf eine enge Passage ging, würde sich in wenigen Minuten alles abspielen.
Ich hatte mir eine SFPD-Anstecknadel ans Revers meines marineblauen Kostüms geheftet, um mir auch ohne Uniform ein möglichst offizielles Aussehen zu verleihen. Während ich neben Mickey Platz nahm, ging ich noch einmal seine Instruktionen durch: »Wenn Broyles Sie befragt, geben Sie keine langen Erklärungen ab. ›Ja, Sir; nein, Sir.‹ Sonst nichts. Er wird versuchen, Sie zu provozieren, um zu beweisen, dass Sie zum Jähzorn neigen und deshalb den Abzug gedrückt haben.«
Ich hätte mich selbst nie als eine Frau bezeichnet, die zu Wutausbrüchen neigte, aber jetzt
war
ich wütend. Es war ein legitimer Schusswaffengebrauch gewesen.
Ein legitimer Schusswaffengebrauch!
Der Staatsanwalt hatte mich von jeder Schuld freigesprochen. Und jetzt sah ich mich erneut zur Zielscheibe gemacht. Als die Sitzreihen sich mit Zuschauern füllten, registrierte ich das Geflüster hinter meinem Rücken.
Das ist die Polizistin, die diese Kinder erschossen hat. Das ist sie!
Plötzlich legte sich eine beruhigende Hand auf meine Schulter. Ich drehte mich um, und meine Augen wurden feucht, als ich Joe erblickte. Ich legte meine Hand auf seine, und im gleichen Moment fing ich den Blick meiner anderen Anwältin auf, einer jungen japanischstämmigen Amerikanerin mit dem ungewöhnlichen Namen Yuki Castellano. Wir sagten Hallo, und sie nahm ihren Platz neben Mickey ein.
Das
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